Weiblicher Narzissmus

Narzissmus sei nicht nur das egozentrische Kreisen um sich selbst, sondern, tiefer gefasst, die verzweifelte Suche nach sich selber und nach Grenzen, beschreibt es Bärbel Wardetzki in ihrem Buch „Weiblicher Narzissmus“.

Narzissmus lässt sich in männlichen und den weniger bekannten weiblichen Narzissmus unterscheiden. Diese Zuordnung beschreibt narzisstische Persönlichkeitsanteile und stellt keine Geschlechterzuordnung dar. Männer können weiblich narzisstische Anteile zeigen und Frauen männliche, ebenso gibt es Mischformen. Siehe dazu meinen Beitrag

Autonomie versus Symbiose

Diese unterschiedlichen Ausprägungen von männlichem und weiblichem Narzissmus äußern sich besonders deutlich im Bindungsverhalten. Während die männliche Form nach Autonomie strebt, spiegelt die weibliche Energie die Sehnsucht nach vollkommener Symbiose. Der männliche Typus reagiert mit Vermeidung, der weibliche mit Anklammern. Menschen mit starken weiblich-narzisstischen Anteilen reagieren mit Überanpassung. Dies führt oft zur vollständigen Selbstaufgabe. Beide Anteile sind im narzisstischen Störungsbild vorhanden, eine Variante dominiert nach außen aber die betroffene Person. Unter der grandiosen Fassade (männlicher Narzissmus) läge eine Depression (weiblicher Narzissmus), und vice versa, so Wardetzki.

Betroffene mit einer weiblich-narzisstischen Störung bestimmt ein schwaches Selbstwertgefühl, das oft mit Attraktivität, Leistung und Perfektionismus auszugleichen versucht wird. Nach außen wirken sie selbstbewusst, so dass sich ihre Minderwertigkeitsgefühle nicht vermuten lassen.

Tue dies nicht, mach das richtig“. Betroffene hören viele innere Verbotsstimmen. Versagen führt zu innerer Bestrafung. Die Bedürfniserfüllung der Wünsche anderer Menschen gelingt vom weiblichen Narzissmus Betroffenen gut, ihre eigenen Wünsche bleiben in Beziehungen jedoch auf der Strecke. „Das Fehlen einer äußeren Grenze zeigt sich in der Unfähigkeit, sich gegenüber anderen Menschen und deren Gefühlen abgrenzen zu können. Diese Frauen zeigen dann Tendenzen, sich in dem anderen aufzulösen und von fremden Gefühlen anstecken zu lassen“, so Wardetzki (S. 68). Begleitet wird der weibliche Narzissmus von einer unerträglichen Trennungsangst, die darauf hinweist, dass die betroffene Person in der Vergangenheit, vor allem in der Kindheit, keine sichere Beziehung erlebt hat.

Narzisstische Wut

Kennzeichnend ist auch eine unbändige „narzisstische Wut“, die im Ausmaß Explosionskraft hat. Sie kann oft auch als Verlassenheitsgebärde, wie ein Schrei nach Nähe, gedeutet werden kann. Die Wut ist vor allem aber auch ein Ausdruck der unterdrückten Autonomie. Die Form des weiblichen Narzissmus mit symbiotischer Selbstaufopferung, die bis zur völligen Selbstaufgabe gehen kann, unterdrückt die innere Freiheit und Selbstbestimmung, die sich einen Weg suchen.

Wut ist Energie

Wut hat keinen guten Ruf, sie wird auch gesellschaftlich als inakzeptabel bewertet. Allerdings hat die Wut eine unbändige positive Kraft. Wut ist Energie. Sie fordert uns auf, die Stimme zu erheben, die eigene Meinung zu äußern, für die eigenen Wünsche einzutreten, Grenzen zu setzen und handlungsfähig zu werden. Wut sagt: „Stopp, hier stimmt etwas nicht“. Wut schenkt die Kraft zur Veränderung. Erst wenn die Wut zu lange unterdrückt wird und sich dann explosionsartig Raum schafft, entfaltet sie eine zerstörerische Kraft.

Für Betroffene ist wichtig, die destruktiven Muster zu erkennen und der Wut Raum zu lassen, indem man kontrolliert die Kontrolle abgibt. Neben psychotherapeutischer Begleitung kann die auch der künstlerische Ausdruck dabei helfen. Betroffenen kann ich auch sehr das Buch „Wutkraft“ von Frederike von Aderkas empfehlen.

Unser neues Buch behandelt das Thema Narzissmus ausführlich

Siehe dazu auch meine Beiträge:

Wutausbruch

Ulrike Hinrichs (2022)

Literatur

  • Bärbel Wardetzki (2020). Weiblicher Narzissmus  – Der Hunger nach Anerkennung“ (Kösel)
  • Frederike von Aderkas (2021). Wutkraft. (Beltz)

Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824