Warum hilft uns die Kunst als Ausdrucksform, um die Sprache unserer Seele zu verstehen? Dazu möchte ich dir anhand des Modells von Elefant und Reiter etwas zum Hintergrund unserer zwei Denksysteme erzählen. Die Metapher von Elefant und Reiter geht auf den amerikanischen Psychologen John Haidt zurück.[1] Haidt beschreibt damit das Zusammenspiel von rationalem Denken und der automatischen Verarbeitung von Reizen. Diese unterschiedlichen Systeme kennen wir auch von Daniel Kahneman, Professor für Psychologie und Nobelpreisträger für Wirtschaft. Er unterscheidet das langsame, rationale Denken und das schnelle, assoziative Denken, welches der Intuition entspringt. Die Ethnologin Dr. Kessler bezeichnet es synonym als das nach innen gerichteten „wilde Denken“.[2]
Das rationale, langsame Denken läuft linear. Das bedeutet, dass solche Prozesse von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft laufen. Es steht im Zentrum unseres Bewusstseins. Die Verarbeitung ist begrenzt. Im Vergleich zu intuitiven Prozessen ist es langsam. Kontrollierte Prozesse erfordern, die Sprache der Buchstaben und Worte sprechen zu können. Während das planmäßige und lineare Denken über Faktenchecks, Analysieren und Zerlegen von Bestandteilen in ihre Einzelteile langsame Schlüsse zieht, agiert das wilde Denken für den aktiven Geist blitzschnell und oft unbewusst in endlosen vernetzten Assoziationsketten. „Wie Kräuselwellen auf der Oberfläche eines Teiches breitet sich die Aktivierung durch einen kleinen Teil des riesigen Netzwerks assoziativer Vorstellungen aus“, konstatiert Kahneman.[3]
Intuitive Prozesse laufen mühelos und automatisch. Ein großer Teil dieser Prozesse ist unbewusst. Das wilde Denken erfordert keine Anstrengung oder Lenkung. Gleichzeitig sind seine Botschaften nicht immer leicht zu verstehen. Sie sind eher Symbolisch und metaphorisch. Die Metapher des Elefant und Reiter beschreibt anschaulich die Dynamik zwischen diesen beiden Polen. Der Reiter steht für den rationalen Geist, der auf dem Rücken des Elefanten sitzt und diesen lenkt. Der Reiter spricht die Sprache der Worte. „Der Reiter (…) ist das bewusste, kontrollierte Denken. Der Elefant ist dagegen alles andere. Zum Elefanten gehören Bauchgefühl, instinktive Reaktionen, Emotionen und Ahnungen, die die automatische Verarbeitung großteils ausmachen. Elefant und Reiter haben jeweils ihre eigene Intelligenz, und wenn sie gut zusammenarbeiten, kann die einzigartige Genialität der Menschen zutage treten.“[4]
Das wilde Denken ist Elefantensprache. Der Elefant steht für die weibliche Urkraft. Er mag die Künste, Mythen, Märchen und Geschichten. Er reagiert auf Emotionen. Es ist die Symbolsprache der Seele, die der Elefant versteht. Die Kunst ist eine Ausdrucksform dafür. Sie kann mühelos in dunklen Ecken schauen, in die wir oft nicht blicken wollen oder können. Der künstlerische Ausdruck ist eine Lichtquelle, um der Dunkelheit in uns zu begegnen. Oft ist ihre Sprache rätselhaft und für den Verstand nicht immer auf Anhieb zu verstehen. Es ist als seist du auf der Fährte des Elefanten unterwegs, die dich durch das Dickicht des Waldes auf eine Lichtung führt.
(c) Ulrike Hinrichs – Die Texte sind urheberrechlich geschützt.
Mehr dazu in meinem Buch: Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen.
Erscheint in Kürze:
Die Weisheit der weiblichen Wunde – Unterstützung aus der Kreativapotheke (mit Andrea Wandel)
Literatur
[1] Haid, Jonathan (2007). Die Glückshypothese. Was uns wirklich glücklich macht. Die Quintessenz aus altem Wissen und moderner Glücksforschung. Kirchzarten: VAK Verlag.
Durch das absichtslose und bewertungsfreie künstlerische Schaffen nehmen wir Kontakt zu unserem inneren Heiler / unserer Heilerin auf, jener Instanz, die Selbstheilungskräfte mobilisiert. Wir können dieses Leitsystem auch Intuition oder intuitive Führung nennen. Der Mediziner Dr. Hans Hein konstatiert, dass der innere Heiler so etwas wie ein eingebauter Resonanzdetektor sei, der sensibel auf die Wahrnehmung von körperlichen, emotionalen und seelischen Unstimmigkeiten ausgerichtet sei (in meinem Buch „Kunst als Sprache der Intuition“ (Synergia Verlag).
„Der physiologische Hintergrund dieser Fähigkeit speist sich aus all den Anteilen in unserem Nervensystem, die mit dem evolutionären und archaischen „Urwissen“ unserer Körperinformation verbunden sind. Die Kunst ist es genau das wahrnehmbar und zugänglich zu machen. Der Zugang gelingt über das Training der Intuition und die Übersetzung der inneren Wahrnehmungen in Bilder von Gestalten, die sehr oft mythischen Charakter haben, also eine Verbindung zum kollektiven Unbewussten herstellen. Mittlerweile gibt es eine wissenschaftliche Betrachtung von zwei Grundformen des Denkens, das schnelle und das langsame. Das schnelle entspricht der intuitiven holografischen Wahrnehmung, das langsame eher der dem logisch sequenziellen. Der innere Heiler ist eine Funktion der unmittelbaren Wahrnehmung der individuellen Realitäten mit der Chance die verzerrenden und krankmachenden Schwingungsmuster zu identifizieren und zu verändern“, so Hein.
Ich habe in meiner Gruppe in der Frauenberatungsstelle Biff Harburg, bei der ich auch selbst gern mitmache, gerade wieder diese Erfahrung machen dürfen. Wir haben den Anteil in uns gemalt, der für die Selbstfürsorge, das Selbstmitgefühl und die Selbstheilungskräfte steht. Mir erschien die Königin, die in der Abbildung dargestellt ist.
Aus der Gruppe kam die Rückmeldung einer Priesterin. Die Priesterin traf mich ins Herz. Sie ist ein großer weiblicher Archetyp. Die Priesterin hat eine tiefe Verbindung zu allen verwundeten Wesen, egal ob Pflanzen, Tiere oder Menschen. Das hat mich sehr berührt. Ich kenne diesen Anteil in mir, fühle mich verbunden mit allen verwundeten Wesen. Und ich spüre eine unendliche Traurigkeit über die kollektive Zerstörung, die gerade in der Welt wütet. Klimakrise, Krieg, Folter, Vergewaltigung Artensterben, Tierquälerei in der Massentierhaltung, u.v.m..
Ich sehe in dem roten Hals der Priesterin, der mich an Blut erinnert, auch die kollektive Wunde aller verletzten Frauen. Dazu bald mehr in unserem Buch „Die Weisheit der weiblichen Wunde – Unterstützung aus der Kreativapotheke“ (mit Andrea Wandel), das noch in diesem Jahr erscheint.
Narzissmus hat einen schlechten Ruf. Narzisstische Anteile haben wir aber alle. In ihrer positiven Kraft beleben uns diese narzisstischen Strukturen. Sie schenken uns Selbstwertgefühl, Charisma, Präsenz und Mut. Wir müssen das Thema daher differenziert betrachten.
Narzisstische Strukturen werden dann bedrohlich, wenn sie uns selbst und andere toxisch beeinträchtigen. Typisch in narzistischen Beziehungen ist ein emotionaler Missbrauch. Die emotionale Bindung wird ausgenutzt, um Macht und Kontrolle auszuüben. Darunter leiden vor allem die Kinder im narzisstischen Familiensystem.
Narzissmus lässt sich in männlichen und weiblichen Narzissmus unterscheiden. Diese Zuordnung beschreibt narzisstische Persönlichkeitsanteile und stellt keine Geschlechterzuordnung dar. Männer können weiblich narzisstische Anteile zeigen und Frauen männliche, ebenso gibt es Mischformen.
Männlicher Narzissmus: Grandiosität, der schwache Teil ist abgespalten.
Weiblicher Narzissmus: kein selbstwert, Selbstzweifel, Perfektionismus.
Menschen mit überstarken weiblichen narzisstischen Anteilen leben den Gegen-Part zum grandiosen Narzissten, indem sie ihre Minderwertigkeits- und Nichtigkeitsgefühle in den Vordergrund stellen. Bis zur völligen Selbstaufgabe umsorgen, hegen und pflegen sie ihre/n Beziehungspartner/in. Daher passen diese narzisstischen Strukturen in Beziehungskonstellationen perfekt zusammen. Der weibliche Narzissmus wird deshalb auch Komplementär-Narzissmus genannt.
Das Beziehungsverhalten ist daher abweisend, anklammernd oder ambivalent
Der weibliche Narzissmus betrifft häufiger Frauen, auch wenn Männer ebenfalls solche Strukturen zeigen können. Frauen mit einer weiblich-narzisstischen Struktur haben je nach Ausprägung eine eingeschränkte Bindungsfähigkeit. Ihre Bindungserfahrungen beruhen auf toxischen Beziehungsstrukturen. In ihrer kindlichen Entwicklung wurden ihre Autonomiebestrebungen unterdrückt, sie wurden emotional abhängig gehalten. Ihre Bindungserfahrung beruht auf einer völligen Selbstaufgabe und Unterdrückung ihrer Bedürfnisse. Sie identifizieren sich noch im Erwachsenenalter mit der Machtlosigkeit, die sie als Kinder erfahren haben. Ihr Beziehungsverhalten ist daher abweisend, anklammernd oder ambivalent zwischen diesen Polen. Gleichzeitig ist es hoch manipulativ und ausnutzend. Denn ihr Interesse gilt der Selbstaufopferung gegenüber ihrem Beziehungspartner, um dafür die Anerkennung (fehlgedeutet als Liebe) zu bekommen. Gleichzeitig kommt es auch beim weiblichen Narzissmus zu Abwertungsstrategien, wie sie für den grandiosen Narzissten typisch sind.
Eine Mutter sagt dann etwa zu ihrem Kind „Es war es der schlimmste Tag in meinem Leben, als ich von der Schwangerschaft erfuhr“.
„Big mother is watching you“
Die eigenen Kinder werden emotional missbraucht, u die innere Leere zu stopfen, die diese Mütter fühlen. Die Überfürsorge für Partner und Kinder dient der eigenen Stabilisierung und Aufrechterhaltung des nazisstischen Systems. Die Kinder werden abhängig gehalten und mit subtilen Schuldgefühlen überhäuft. „Guck mal was ich alles für dich getan habe“. Es fühlt sich an, als sei ich in einem Spinnennetz gefangen, sagte mir einmal eine Klientin
Betroffene mit weiblich-narzisstischen Strukturen begleitet eine Sehnsucht nach Bindung gepaart mit einer unerträglichen Trennungsangst. Panische Verlassensheitsgefühle bis hin zu Todesangst sind kennzeichnend. Es fühle sich an wie ein riesiges schwarzes Loch in das ich hineinfalle, beschrieb es eine Klientin. Diese alte kindliche Wunde ist von unaufhaltbarem Schmerz begleitet. Solche existenziellen Ängste deuten auf sehr frühe bedrohliche Bindungserfahrungen.
Im weiblichen Narzissmus werden eigene Autonomiebestrebungen unterdrückt. Auch das Gegenüber wird symbiotisch einverzuleiben versucht. Eine Klientin sagte: „Wenn er mich wirklich lieben würde, dann würde er nicht mit seine Freunden weggehen“. Jede Form des Weggehens wird als große Bedrohung der Beziehung erfahren. Oft wird es von den Frauen als „Eifersucht“ beschrieben. Es ist aber eher die generelle panische Angst vor dem Verlassenwerden. Wenn die unterdrückten Gefühle ausbrechen, dann sind es heftige unkontrollierte kindliche Gefühle. Wut, Verzweiflung, Todesangst gepaart mit Schreien und Weinen.
In einem ersten Schritt ist es für Betroffene wichtig, diese Strukturen zu erkennen und zu entwirren.
Narzissmus sei nicht nur das egozentrische Kreisen um sich selbst, sondern, tiefer gefasst, die verzweifelte Suche nach sich selber und nach Grenzen, beschreibt es Bärbel Wardetzki in ihrem Buch „Weiblicher Narzissmus“.
Narzissmus lässt sich in männlichen und den weniger bekannten weiblichen Narzissmus unterscheiden. Diese Zuordnung beschreibt narzisstische Persönlichkeitsanteile und stellt keine Geschlechterzuordnung dar. Männer können weiblich narzisstische Anteile zeigen und Frauen männliche, ebenso gibt es Mischformen. Siehe dazu meinen Beitrag
Diese unterschiedlichen Ausprägungen von männlichem und weiblichem Narzissmus äußern sich besonders deutlich im Bindungsverhalten. Während die männliche Form nach Autonomie strebt, spiegelt die weibliche Energie die Sehnsucht nach vollkommener Symbiose. Der männliche Typus reagiert mit Vermeidung, der weibliche mit Anklammern. Menschen mit starken weiblich-narzisstischen Anteilen reagieren mit Überanpassung. Dies führt oft zur vollständigen Selbstaufgabe. Beide Anteile sind im narzisstischen Störungsbild vorhanden, eine Variante dominiert nach außen aber die betroffene Person. Unter der grandiosen Fassade (männlicher Narzissmus) läge eine Depression (weiblicher Narzissmus), und vice versa, so Wardetzki.
Betroffene mit einer weiblich-narzisstischen Störung bestimmt ein schwaches Selbstwertgefühl, das oft mit Attraktivität, Leistung und Perfektionismus auszugleichen versucht wird. Nach außen wirken sie selbstbewusst, so dass sich ihre Minderwertigkeitsgefühle nicht vermuten lassen.
„Tue dies nicht, mach das richtig“. Betroffene hören viele innere Verbotsstimmen. Versagen führt zu innerer Bestrafung. Die Bedürfniserfüllung der Wünsche anderer Menschen gelingt vom weiblichen Narzissmus Betroffenen gut, ihre eigenen Wünsche bleiben in Beziehungen jedoch auf der Strecke. „Das Fehlen einer äußeren Grenze zeigt sich in der Unfähigkeit, sich gegenüber anderen Menschen und deren Gefühlen abgrenzen zu können. Diese Frauen zeigen dann Tendenzen, sich in dem anderen aufzulösen und von fremden Gefühlen anstecken zu lassen“, so Wardetzki (S. 68). Begleitet wird der weibliche Narzissmus von einer unerträglichen Trennungsangst, die darauf hinweist, dass die betroffene Person in der Vergangenheit, vor allem in der Kindheit, keine sichere Beziehung erlebt hat.
Narzisstische Wut
Kennzeichnend ist auch eine unbändige „narzisstische Wut“, die im Ausmaß Explosionskraft hat. Sie kann oft auch als Verlassenheitsgebärde, wie ein Schrei nach Nähe, gedeutet werden kann. Die Wut ist vor allem aber auch ein Ausdruck der unterdrückten Autonomie. Die Form des weiblichen Narzissmus mit symbiotischer Selbstaufopferung, die bis zur völligen Selbstaufgabe gehen kann, unterdrückt die innere Freiheit und Selbstbestimmung, die sich einen Weg suchen.
Wut ist Energie
Wut hat keinen guten Ruf, sie wird auch gesellschaftlich als inakzeptabel bewertet. Allerdings hat die Wut eine unbändige positive Kraft. Wut ist Energie. Sie fordert uns auf, die Stimme zu erheben, die eigene Meinung zu äußern, für die eigenen Wünsche einzutreten, Grenzen zu setzen und handlungsfähig zu werden. Wut sagt: „Stopp, hier stimmt etwas nicht“. Wut schenkt die Kraft zur Veränderung. Erst wenn die Wut zu lange unterdrückt wird und sich dann explosionsartig Raum schafft, entfaltet sie eine zerstörerische Kraft.
Für Betroffene ist wichtig, die destruktiven Muster zu erkennen und der Wut Raum zu lassen, indem man kontrolliert die Kontrolle abgibt. Neben psychotherapeutischer Begleitung kann die auch der künstlerische Ausdruck dabei helfen. Betroffenen kann ich auch sehr das Buch „Wutkraft“ von Frederike von Aderkas empfehlen.
Unser neues Buch behandelt das Thema Narzissmus ausführlich
Bärbel Wardetzki (2020). Weiblicher Narzissmus – Der Hunger nach Anerkennung“ (Kösel)
Frederike von Aderkas (2021). Wutkraft. (Beltz)
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
Das Herz trommelt, die Hände sind kalt und feucht, der Mund wird trocken. Angst ist eine normale Reaktion auf eine konkrete Gefahr. Flucht, Angriff? Sie alarmiert uns, damit wir der Gefahr entgehen können. Bei einer Angststörung springt unser Alarmsystem auch dann an, wenn gar keine konkrete Gefahr vorliegt. Angststörungen werden von typischen körperlichen Reaktionen der Angst begleitet, wie beispielsweise Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Atemnot, Übelkeit, Engegefühl in der Brust.
Angststörung
Es sind verschiedene Arten von Angststörungen zu unterscheiden. Von einer generalisierten Angststörung spricht man, wenn diffuse Ängste und Sorgen ohne angstfreie Zeiten auftreten, die zu Anspannung, innerer Unruhe, Reizbarkeit und auch Konzentrationsschwierigkeiten führen. Davon unterscheidet man phobische Störungen, die sich auf spezifische Situationen (Menschenmengen, enge Räume, weite Plätze) oder Objekte (Spinnen, Spritzen) beziehen. Eine soziale Phobie beschreibt die Angst im Mittelpunkt zu stehen. Eine Panikstörung ist eine plötzlich auftretende Angstattacke, die von oft von Todesangst begleitet wird.
Die Gründe für solche Angststörungen sind multifaktoriell. Die Auslöser können in schwer belastenden Ereignissen liegen. Soziale Belastungen wie Einsamkeit aber auch eine erhöhte Vulnerabilität können Angststörungen begünstigen. Gleichzeitig fördern andere psychische und körperliche Erkrankungen eine Angststörung.
Zur Behandlung einer Angststörung ist es sinnvoll, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Die Angst lähmt uns, wir ziehen uns zurück, meiden angstauslösende Situationen.
Die gute Nachricht
Sie können selbst etwas tun, sich die Handlungsmacht zurückholen. Stellen Sie sich Ihrer Angst. Dafür habe ich einen etwas ungewöhnlichen aber wirksamen Vorschlag!
Kinderatelier: wir basteln Rasseln
Kürzlich habe ich mit meiner Kindergruppe im Kinderatelier schamanische Rasseln gefertigt. Das hatte erst einmal gar nichts mir Angst zu tun. Wir hatten einfach Spaß daran. Gemeinsam haben wir mit unseren Rasseln Geräusche gemacht und böse Geister vertrieben. Diese Idee zur Arbeit mit Kindern stellte ich in meiner Ausbildungsgruppe zur Kunsttherapie vor, in der ich als Dozentin unterrichte. Zwei der Studierenden berichteten, dass sie selbst an einer Angststörung gelitten haben.
„Eine Rassel zum Vertreiben der Angst hätte ich gut gebrauchen können“, sagte die eine. Eine andere Teilnehmerin konstatierte „und ich hätte gern mit der Rassel die Angst zum Tanzen aufgefordert“. Gern haben ich mich von den Studierenden inspirieren lassen. „Das ist eine super Idee„.
Rasseln gegen die Angst
Lassen Sie sich nicht von der Angst treiben. Drehen Sie sich um und schauen ihr ins Gesicht. Eine selbst gebaute Rassel zu verwenden, hat mehrere Vorteile. Zum einen droht bei starker Angst die Gefahr, dass man sich in ihr verliert, bei einer Panikattacke sogar Todesängste durchlebt. Hierbei ist die erste Intervention, dass Sie vom inneren Erleben ins Außen kommen. Was sehen Sie im Außen? Was hören Sie? Was riechen Sie? Was schmecken Sie? Was fühlen Sie im Außen?“ Dabei kann eine laute Rassel Sie unterstützen.
Sie können Ihre Rassel auch als ein Instrument nutzen, mit dem Sie die Angst für sich gewinnen. Sie können, wie die Studierende sagte, mit ihr tanzen. Sie können sich Mut machen, indem Sie die laute Rassel erklingen lassen. Bei Angst fühlen wir uns ausgeliefert und ohnmächtig. Sie können etwas tun! Übernehmen Sie wieder die Macht. Erschaffen Sie sich Ihr eigenes Instrument, um der Angst zu begegnen. Eine Rassel ist nur eine Idee! Gewinnen Sie wieder Oberhand, übernehmen Sie die Führung.
Zeremonien und Rituale helfen außerdem, Angst zu bewältigen und Veränderungsprozesse zu begleiten. Zeremonien durchbrechen die Alltagsroutine, ziehen damit Aufmerksamkeit und verankern Lernerfahrungen. Auch dazu kann die Rassel etwas beisteuern. In unterschiedlichen schamanischen Traditionen wird die Rassel für Zeremonien und Heilrituale eingesetzt. Die Rassel dient auch zum Aufspüren von Blockaden und negativen Energien.
Spüren Sie sich wieder. Begegnen Sie der Angst. Nutzen Sie beispielsweise Ihre selbst gestaltete Rassel dafür.
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
Viele Frauen sind in einem toxischen Umfeld aufgewachsen. Sie haben Vernachlässigung, Gewalt, emotionalen Missbrauch erlitten. Sie fühlen sich nicht verbunden mit ihren Wurzeln, im Gegenteil, ihre Wurzeln sind vergiftet.
Ich kenne das Gefühl mit toxischen Wurzeln zu leben. Mir hat es geholfen, mich mit mir selbst und „Mutter Erde“ zu verbinden, viel Zeit in der Natur zu verbringen. Mutter Erde liebt ihre Sprösslinge bedingungslos, lässt wachsen, nährt und unterstützt, gibt Raum, Luft zum Atmen, Schutz und Sicherheit, hält Balance, spendet Licht und Schatten, fügt sich den natürlichen Rhythmen von Werden und Vergehen, Ruhen und Tun, existiert jenseits der Zeit, lässt fließen, ist geduldig und gelassen, tröstet, ehrt alle Geschöpfe, urteilt und bewertet nicht, akzeptiert Vielfalt, schließt nicht aus, sondern ein, schafft Verbundenheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Ulrike Hinrichs 1981
Die Erde ist unsere wahre Mutter
„Die Erde ist unsere wahre Mutter. Wir sind aus ihren Elementen gemacht, sie unterstützt uns und versorgt uns auf liebevolle und wunderschöne Weise mit Fülle.“[1] Die Natur verbindet uns mit den Gesetzmäßigkeiten und Rhythmen des Universums.
Warum hat die christliche Religion Mutter Erde vergessen, stattdessen ihren Blick nur auf den Vater im Himmel gerichtet? In allen indigenen Völkern, schamanischen Weisheiten und fernöstlichen Traditionen wird das weibliche Prinzip, für das Mutter Erde steht, geehrt. Auch in der frühen christlichen Tradition wurde die Erde noch geheiligt. Hildegard von Bingen (1098-1179) appellierte auf Gott zu blicken und auf die Erde. Auch im Sonnengesang der Franziskaner wird Mutter Erde gepriesen (auszugsweise):
Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.
Mit der Neuzeit trat mehr und mehr die Wissenschaft, das analytische Denken und Forschen, in den Vordergrund. Die Wissenschaft müsse uns zu „Herren und Besitzern der Natur“ machen, so Descartes (1596-1650).[2] Die heilige Mutter Erde wurde damit unterjocht, die weibliche Kraft unterdrückt. Die weibliche und männliche Urkraft standen nicht mehr in einer Balance.
Wir erleben gerade eine Zeitenwende (siehe auch: Neues Wissen – Altes Wissen). Die weibliche Energie erobert sich ihren Platz zurück. Im Individuellen wie Kollektiven können wir nur in der Ausgewogenheit der Kräfte gesund leben. Die weibliche Kraft erwecken wir mit unserer intuitiv-fühlenden Seite (Die weibliche Urkraft). Die Künste sind eine Ausdrucksform dieser Kraft.
Ulrike Hinrichs 2021
Bald mehr dazu in unserem neuen Buch (erscheint 2022): Ulrike Hinrichs & Andrea Wandel. Die Weisheit der weiblichen Wunde – Unterstützung aus der holistischen Kreativapotheke, Syngeria Verlag
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
Gebetsketten kennen wir aus vielen Religionen. Im Buddhismus und Hinduismus ist es die Mala, im Islam die Tesbih und Christentum der Rosenkranz. In der schamanischen Praxis werden Perlenschnüre aus kleinen Knochen verwendet. Die Katholiken zählen an den Perlen des Rosenkranzes ihre Gebete ab. Im Buddhismus hilft die Mala zur Vertiefung in der Meditation. Im Islam benutzen die Moslems ihre Gebetskette um den Namen Allahs zu preisen. Gemeinsam haben die Gebetsketten die rituelle Wiederholung. Bei diesen meditativen Erfahrungen werden im Gehirn durch die tiefe Entspannungssituation Theta Frequenzen aktiviert. Der Theta Bereich steigert die Empfänglichkeit für innere Bilder und die Intuition. Bei gemeinschaftlichen Gebeten synchronisieren und vernetzen sich die Gehirne der Menschen.[1] „Synchronisierte Schwingungsprozesse“ sind das „verknüpfende Prinzip der Interaktion von Gehirn, Körper und Umwelt“, so Fuchs.[2] Auch künstlerische Prozesse bringen uns in einen Flow und wecken bestenfalls diesen Bereich der Theta Wellen. In solchen Entspannungssituationen kommt es zu einem intensivierten inneren Erleben, das oft von einem verstärkten inneren Bilderfluss begleitet wird. Die Intuition wird in Problemsituationen durch vergangenheitsgeleitete Denk- und Gewohnheitsmuster eher blockiert und im Umkehrschluss durch Herausforderungen und neue Situationen geschärft.
Unser Gehirn liebt Rituale und Zeremonien
Wir können künstlerische Prozesse als Rituale und Zeremonie nutzen, um Veränderungsprozesse zu bewältigen. Vor allem unsere ältesten Gehirnteile, der Hirnstamm und das limbisches System, lieben Rituale und Zeremonien. Der Mandelkern(Amygdala) und der Hippocampus als Teil des limbischen Systems regeln vor allem unsere emotionalen Reaktionen. Insbesondere die Entstehung von Angst ist im Mandelkern verankert. Das limbische System prüft einströmende Umweltreize und reagiert mit Emotionen wie beispielsweise mit Wut, Gewalt und Angst auf Stresssituationen. Es sichert unser Überleben durch schnelle Reaktionen. In lebensbedrohlichen Gefahrensituation wird unmittelbar mit Flucht, Angriff oder Erstarrung reagiert. Durch unverarbeitete Traumata sind unsere Angstzentren oft übersensibel, reagieren also auch, wenn gar keine wirkliche Gefahr vorhanden ist. Gerade in Situationen, die an ein ursprüngliches Trauma erinnern, reagiert unser System hochsensibel.
Zeremonien verankern Lernerfahrungen
Zeremonien und Rituale helfen, Angst zu bewältigen und Veränderungsprozesse zu begleiten. Zeremonien durchbrechen die Alltagsroutine, ziehen damit Aufmerksamkeit und verankern Lernerfahrungen. Sie unterstützen Transformationsprozesse. Wir kennen solche Zeremonien für Übergangs- und Veränderungsprozesse in vielen Lebensbereichen. Taufe, Konfirmation oder Jugendweihe, Trauerfeiern, Hochzeiten, Geburtstage, sind einige davon.
Mit Zeremonien meine ich keine komplexen gar religiös gesetzten Abläufe. Eine kleine Zeremonie kann auch ein bewusst gestaltetes Bild zu einem schwierigen Lebensthema sein. Ich kann mir künstlerisch ein Krafttier oder einen sicheren Ort erschaffen oder auch ein altes Trauma begleitend künstlerisch verdauen (siehe zum Beispiel Die Weisheit der Wunde entdecken).
Jenseits unseres Verstandes, der zwar viele Dinge verstehen, aber nicht begreifen kann, sprechen wir mit Zeremonien unsere Seele an. Sie bevorzugt und versteht eine Sprache der Bilder, Mythen, Zeremonien, Märchen und Geschichten. Unser innerer Heiler/ unsere innere Ärztin wird erweckt.
Ulrike Hinrichs 2021
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
Literatur
[1] Mehr dazu in meinem Buch “Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen “
[2] Fuchs, Thomas (2008, S. 7). Geleitwort. In: Scheuerle, Hans Jürgen. Das Gehirn ist nicht einsam. Resonanzen zwischen Gehirn, Leib und Umwelt. Stuttgart: Kohlhammer.
Das Kunstwerk ist Ausdruck einer Bildsprache, die sich in Metaphern und Symbolen zeigt. Kinder haben einen besonders guten Zugang zu dieser Bildersprache. Sie stellen Themen, Ängste und Anliegen ganz von selbst in symbolischer Form dar. Sie haben Zugang zu anderen Wesen, Hexen, Königen, Gespenstern, Monstern. Realität, Traumwelt und Fantasie sind für Kinder noch fließende Zustände.
Je älter wir werden, desto mehr setzen wir auf das rationale Denken. Die Kunst wird in Schulnoten bewertet. Malen, Singen, Tanzen, Märchen erzählen und Geschichten erfinden werden in einer leistungsorientierten Gesellschaft als nicht so wichtig angesehen. Dabei verbirgt sich hinter der vermeintlich kindlichen Beschäftigung unser Zugang zur Welt des Unbewussten.
Während unsere rationale Sprache von unserer linken Hirnhälfte dominiert wird, wechseln wir bei der metaphorischen Sprache der Bilder auf unserer rechte Hemisphäre. Hier treffen wir auf unsere Intuition. Der Ökonom und Manager Otto Scharmer spricht vom „Impuls aus der Zukunft“, den wir erhaschen. Scharmer entwickelte für das intuitive Führen in Unternehmen eine Anleitung für das Auffinden zukunftsgeleiteter Lösung über die Aktivierung der Intuition.[1] Er stellt dar wie vergangenheitsgeleitete Muster aus der Gewohnheitswelt (Ratio) unterbrochen und Lösungen aus der im Entstehen begriffenen Zukunft gefunden (precencing) werden können (Intuition).[2]
„Was ist im Entstehen? Was will gesagt, gehört, gefühlt, gesehen werden?“
Diese zwei unterschiedlich funktionierenden Systeme, Ratio und Intuition, beschreibt der Professor für Psychologie und Nobelpreisträger für Wirtschaft Daniel Kahnemann als zwei Grundformen des Denkens.[3] Das langsame Denken entspricht dem uns bekannten rationalen Denken, während das schnelle Denken der Intuition entspringt. Die Ethnologin Dr. Kessler bezeichnet das schnelle Denken synonym als das nach innen gerichteten „wilde Denken“, ein Begriff, der mir besonders gefällt.
Nach dieser kurzen theoretischen Einführung schauen wir auf das entstandene Kunstwerk. Der Auftrag in unserer Gruppe Krankheit als Bild lautete, ein Bild vom Symptom zu malen. Das könnte ein Wesen sein, dass die Erkrankung darstellt, oder auch ein Abbild vom eigenen Körper mit Symptom. Die Aufgabe sollte frei interpretiert werden. „Symbole können zum einen die Wirklichkeit versinnbildlichen, zum anderen wohnt ihnen aber auch die Kraft inne, einen Transformationsprozess einzuleiten – also die Wirklichkeit zu verändern.“[4] Die symbolische Darstellung eines Symptoms in einem Bild ist bereits für sich genommen eine Transformation in etwas anderes, neues, unbekanntes.
Die Künstlerin des hier gezeigten Werkes leidet unter anderem unter Arthrose und auch unter wiederkehrenden Depressionen. Zudem berichtet sie von einer erhöhten Geräuschempfindlichkeit bei gleichzeitiger Schwerhörigkeit.
Zu dieser Symptomatik sehen wir auf dem Bild eine Figur mit elefantengroßen Ohren. Blitze dringen von außen in den Kopf der Gestalt. Die grüne Hand mit roter Markierung am Daumengelenk steht für die schmerzhaften Gelenkentzündungen und die Versteifung durch die Arthrose.
In der Gruppe kam u.a. die Assoziation einer Inka Statue auf. Auch ich musste an einen schamanischen Heiler denken. Die großen Ohren, die die Hörbeeinträchtigungen symbolisieren, erinnern an Buddha, der ebenfalls mit großen Ohren dargestellt wird. Der dunkelgrüne Stab in der Mitte des Bildes sei nicht beabsichtigt gewesen, so die Klientin. Mir erscheint er wie ein Werkzeug, das die Figur mahnend bereithält, falls jemand die Grenze überschreiten sollte. Die grüne Hand zeigt plakativ eine Geste als Stoppzeichen.
Die Assoziationen der Gruppenbeteiligten hatten alle eine ähnliche Botschaft im Bild entdeckt. „Bis hierhin und nicht weiter, Stopp“. Es ist Zeit, … es ist überfällig, Stopp zu sagen. Diese Erkenntnis war auch für die Klientin stimmig. Und sie war auch nicht neu. Es ist aus meiner Sicht sehr hilfreich, wenn sich in einem Bild etwas manifestiert, das zwar nicht immer unbedingt eine neue Erkenntnis, dafür aber eine wichtige Bestärkung darstellt. Die Rückmeldungen der Gruppenteilnehmerinnen unterstreichen damit etwas, was für die Betroffene vielleicht noch mehr Unterstützung braucht. Es ist ein tiefes Bezeugen und Bekräftigen der Gruppe, eine elementare Einsicht auch wirklich umzusetzen.
Fragen könnten lauten:
Wie kannst du Stopp sagen? Wie sieht das ganz konkret im Alltag aus?
Welche Befürchtungen hast du, wenn du Stopp sagst?
Zu wem oder was musst du sehr dringend Stopp sagen?
Wo musst du deine Grenzen erkennen und ziehen?
Wer oder was hat deine Grenzen schon überschritten?
Wie findest du Gehör?
Was soll und muss endlich gehört werden?
Wie kannst du das Geplapper im Außen reduzieren und mehr nach Innen kehren?
Wie kannst du trotz deiner Einschränkungen in deine Kraft gehen?
Wie kannst du die Pfeile und Blitze, die deinen Kopf beschießen, umdrehen, nach außen drehen?
Was muss von außen nach innen, was muss von innen nach außen gewendet werden?
Wovon brauchst du mehr, wovon weniger?
Was muss endgültig beendet, ein Schlussstrich gezogen werden?
Wie kannst du deine eigene Heilerin sein?
Ulrike Hinrichs 2021
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
[1] Scharmer (2009), in der Organisationsentwicklung auch Roberston(2016).
[2] Scharmer, Otto C. (2009). Theorie U: Von der Zukunft her führen. Presencing als soziale Technik.
[3] Kahnemann, Daniel (2011). „Schnelles Denken, langsames Denken“,
[4] Vilolodo, Baron-Reid, Lobes (2021, S. 11). Das schamanische Seelenorakel. Begleitbuch Ansata Verlag
Krankheit als Bild. Wie kann ich meinen Körper besser verstehen? Ich veröffentliche dazu regelmäßig Beiträge zu Praxisfällen unter www.krankheit-als-bild.de. Die Kunst hilft uns bei der Übersetzung der Sprache des Körpers. Denn Kunst und Körper sprechen dieselbe metaphorische Sprache.
Feuer – Wasser – Erde – Luft
Symbole kommen in unserer Welt immer wieder vor. Sie sind Sinnbilder; Zeichen, die für etwas Anderes stehen. Ein Symbol schließt nicht aus, sondern ein. Anders als Worte, begrenzt es nicht. Symbole – wie die vier Elemente – geben zunächst einmal eine individuelle Resonanz, die sich oft auch mit einer kollektiven Bedeutung deckt. Die vier Elemente als Essenz des Lebens haben eine lange Tradition in unterschiedlichen Kulturen und Epochen, wie der griechischen Philosophie, dem Schamanismus, der Alchemie und der chinesischen Kultur (dort fünf Elemente).[1]
Welches Element zieht dich im Kontext deiner Erkrankung an? Die Klientin aus meienr Gruppe Krankheit als Bild“ wählte für ihre Gelenkschmerzen am linken Daumen und Zeigefinger das Element Feuer.
„Feuer verzehrt alles, womit es in Berührung kommt. Seine Flammen erinnern uns an die Vergänglichkeit allen Seins und daran, wie schnell Situationen ins Gegenteil schlagen können. Feuer ist Leidenschaft, und das Tanzen der Flammen lädt uns ein, nach den Sternen zu greifen. Wäre und Licht sind himmlisch, doch allzu viel Hitze droht uns zu versengen.“[2]
Das Element Feuer versinnbildlicht eine innere Kraft. Das Feuer gibt uns Licht. Auf einer seelischen Ebene repräsentiert es vor allem Inspirationen, zündende Ideen und Geistesblitze. Wenn es außer Kontrolle gerät, kann es sehr schnell alles vernichten.
Wir haben zum Bild ein Elfchen gefertigt, ein Gedicht mit 11 Wörtern, das bestimmten Regeln folgt. Die Klientin hat die Poesie in das Kunstwerk eingearbeitet.
Hand
Im Feuer
Der Schmerz brennt
Ich will das nicht
Energie
.
Energie als stärkender Gegensatz zu Schmerz
Interessant für die Klientin war der Aspekt der Energie als stärkender Gegensatz zu Schmerz und des Widerstandes.
Fragen zum Feuer könnten lauten:
Wofür brennst du wirklich?
Wo brennt / schmerzt es?
Wo steckt der Schmerz fest?
Wie kannst du das Element Feuer in dein Leben holen?
Wie kannst du dein Herz an deinem inneren Feuer wärmen?
Ist dein Leben starr geworden?
Wo/ wie begegnet dir das Thema Feuer im Alltag?
Braust du leicht auf und wirst wütend?
Hast du das Gefühl, zu feurig zu sein?
Unser Gehirn liebt Rituale
Unser Gehirn liebt Rituale, wenn wir Veränderungsprozesse verstärken und durchalten wollen. Wir kennen Rituale für Übergangs- und Veränderungsprozesse in vielen Lebensbereichen. Taufe, Konfirmation oder Jugendweihe, Trauerfeiern, Hochzeiten, Geburtstage, sind einige davon. In allen Religionen und spirituellen Richtungen nehmen Zeremonien und Rituale einen großen Stellenwert ein. Wir sprechen damit unsere Seele an, die jenseits unseres Verstandes eine Sprache der Rituale, Bilder, Mythen, Märchen und Geschichten bevorzugt und versteht.
Rituale helfen, den Transformationsprozess einzuleiten. Lass daher ab und zu ganz bewusst ein Feuer (z.B. Kerze) für dich brennen.
Ulrike Hinrichs 2021
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
[1] Siehe dazu auch in meinem Buch: Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen. Synergia Verlag
[2] Villoldo, Alberto; Baron-Reid, Colette; Lobos, Marcela (2021, S. 58). Das schamanische Seelenorakel. Begleitbuch. Ansata.
Die Klientin hat Gelenkschmerzen im Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Zudem sind die Fingerkuppen der betroffenen Glieder taub. Vor allem nach einer längeren Ruhephase, besonders nach dem Nachtschlaf. Die Finger fühlen sich dann sehr starr an.
Für die kreative Umsetzung des Symptoms habe ich angeregt Aquarellfarbe zu wählen, um den fließenden Farben Raum zu geben. Die Aufgabe lautete, das Symptom im Sinne eines Körperbildes zu malen. Für die Klientin lang nahe, im ersten Schritt ein Abbild der Hand zu zeichnen. Dazu hat sie die Handumrisse mit Bleistift nachgezogen und anschließend mit Farbe gefüllt.
Die Klientin war überrascht über den ausgefransten Symptombereich, der sich farblich deutlich von den anderen drei Fingern abgrenzt. Die ganze Hand wirke fragmentiert. Daumen und Zeigefinger erschienen wie in einem Auflösungsprozess oder gar Zerfall. Die teils dunkelrote Farbe erinnere sie an Blut.
Faszinierend sind auch die Vögelchen, die sich auf den Fingerspitzen zeigen, wobei sie in verschiedenen Richtungen schauen. Mir kam die Redewendung „Die Spatzen pfeifen es vom Dach“ in den Sinn. Zwischen Daumen und Zeigefinger sitzt ein roter Drache, sein Schwanz baumelt in der Luft. Durch diesen Drachen erscheint die Hand nun mit sechs Fingern bzw. einem „Finger-Wurmfortsatz“. Der Wurm ist an dieser Stelle interessant, da er auch in einem anderen Werk der Klientin auftauchte, siehe Arthritis – Krankheit als Bild.
Die Kunst als Sprache ist oft rätselhaft, wie bedeutungsvolle Träume, die wir nicht immer gleich verstehen können. Daher ist es wichtig, welche Assoziationen uns und anderen kommen, wenn wir das Bild betrachten. Wir gehen bei der Bildbetrachtung in Resonanz mit unbewussten Themen. Auch die archetypische Bedeutung kann einem beim Verstehen der Bildsprache weiterbringen.
Daumen und Zeigefinger
Die symbolische Bedeutung der betroffenen Symptombereiche gibt uns erste Ansatzpunkte.
Nach dem Arzt Ruediger Dahlke (Buch: Krankheit als Symbol) macht der Daumen durch seine Sonderstellung das Greifen erst möglich. Er ist ein Polaritätssymbol. Er steht für Durchsetzungskraft, das Leben in den Griff bekommen, zupacken. Der Zeigefinger zeigt uns die Richtung und den Weg. Als erhobener Zeigefinger steht er auch für Ermahnungen und Schuldzuweisung. Im Yoga deutet der Daumen auf Brahman, das Absolute, Gott; der Zeigefinger symbolisiert das Ego.
Das sind Fragen, die relevant sein könnten:
Wie kann ich Älterwerden und trotzdem noch beherzt zupacken?
Wie kann ich die belastende Vergangenheit und Schuldzuweisungen loslassen?
Wie bekomme ich das Ego (mit der großen Angst vor dem Tod) und die spirituelle Weisheit in Einklang?
Wie kann ich die Taubheitsgefühle aus alten Zeiten überwinden?
Drachenfinger
Der Drache als mystisches Wesen steht für Ganzheit und uraltes Wissen. Auch hier geht es um das Zusammenbringen und Vereinigen von Polaritäten. Zum „Drachenfinger“ fällt mir der „sechste Sinn“ ein. Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, die fünf Sinne sind uns allen bekannt. Sie eröffnen uns den Zugang zur Welt. Doch es gibt einen sechsten oft vernachlässigt Sinn, der die Tiefensensibilität beschreibt. Er überliefert etwa die Haltung unseres Körpers im Raum. Durch ihn wissen wir, ob wir stehen, sitzen, liegen oder welche Haltung wir haben. Nach dem sechsten Sinn folgt in meinen Gedanken noch der siebte Sinn als unsere Intuition. Ich berichtete der Klientin von meinen Gedanken und frage, ob sie damit etwas anfangen könne.
Die Frage „wo stehe ich?“ macht für mich in einer übertragenen Bedeutung Sinn. Ich fühle mich in einer großen Umbruchphase, die auch mit meinem fortgeschrittenen Alter zu tun hat. Tod, Zerfall, Auflösung, Transformation sind oft präsent in meinen Gedanken. Es ist eine innere Ausrichtung und Neuorientierung nötig. Ein Zusammenführen von Polaritäten, Leben und Tod.
Die Spatzen pfeifen es vom Dach
Der Vogel ist ein Symbol der körperlosen Seele, der freien Gedanken und der Transzendenz. Vögel sind Geister der Luft. Nach der Bibel stehen Vögel als Symbol des Wandels. Und auch das sprachliche Bild, wonach Vögel die Geheimnisse verbreiten, geht schon auf die Bibel zurück. Die Redewendung „Die Spatzen pfeifen es vom Dach“ besagt, dass es eigentlich doch schon alle wissen. Das Geheimnis wird schon lange ausgeplappert. Also kann doch auch ich es glauben, fragt die Klientin laut. Sie sei in einer rational geprägten Welt aufgewachsen und wende sich immer mehr auch spirituellen Ideen zu, die mit ihren alten Grundüberzeugungen nicht zusammenpassen. Auch wenn schon vieles an meiner Weltsicht neujustiert wurde, komme ich trotzdem immer wieder ins Zweifeln.
Was ist wahr, frage ich sie, geht es darum?
Genau, die Botschaft der Vögel lautet für mich: vertraue dem, was du denkst UND fühlst!
Altes Blut
Blut steht für Lebensenergie und Lebensfluss. Auch an Menstruationsblut und das große Weibliche denke ich dabei. Es kommen mir Verletzungen und blutende Wunden in den Sinn. Die Auflösung, die ich im Bild wahrnehme, könnte für mich daher auch für die Auflösung bzw. Transformation alter Verletzungen stehen… ist es so oder ist es nur eine Hoffnung, frage ich die Klientin.
Das Resümee der Klientin zu ihrem Symptombild: es geht um Umbruch, Richtung, Neuorientierung und Hinwendung zu mehr Vertrauen ins Leben, bei gleichzeitigem Loslassen des irgendwann endenden Lebens.
Die Kunst als Sprache liefert keine Wahrheiten, sondern Impulse, die uns aus alten Denkspiralen rausholen und neue Räume öffnen.
Ulrike Hinrichs 2021
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
Künstlerische Prozesse können den Weg der Heilung unterstützen. Durch das authentische künstlerische Schaffen mobilisieren wir unsere Selbstheilungskräfte. Wir können dieses Leitsystem auch Intuition oder intuitive Führung nennen.
„Wie sieht dein innerer Heiler, deine innere Heilerin aus?“ (siehe auch Die innere Heilerin)
Das Bild zu dieser Frage entstand in meiner Gruppe Krankheit als Bild. Die Klientin, die das Kunstwerk malte, leidet unter einem Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich. Das Bild zeigt eine Hexe, die aus einem lilafarbenen Netz hervorlugt. Mir scheint es, als wenn auch Schlangen und eine Doppelhelix sich durch das Wirrwarr bewegen. Die Hexe ist ein altes archaisches Symbol für die weibliche Kraft. Lange wurde die machtvolle Seite des Weiblichen kollektiv unterdrückt, in den Schatten verdrängt. Erwünscht waren schöne brave Frauen. Die wilde Frau galt als gefürchtet und abstoßend. Dir Hexe ist ein gutes Beispiel dafür. In vielen Märchen wie in „Hänsel und Gretel“ der Gebrüder Grimm gilt die Hexe als unheilbringende Schwarzmagierin. Wer ihr in den Weg kommt wird verhext oder getötet. Sie wird als ein dämonisches Wesen gezeigt, das mit dem Teufel verbündet ist. Meist hat sie die Gestalt einer buckligen und hässlichen alten Frau mit langer, krummer Nase, die mit ihrem Zaubertrank anderen Schaden zufügt.
Die Hexe hat Zugang zum weiblichen Urwissen
Im Mittelalter, das für seine Hexenprozesse bekannt ist, wurden Hexen verfolgt und ermordet. Wie in allen patriarchalen Kulturen wurde die Hexe mit negativen Deutungen des Weiblichen abgewertet. Doch der Urgrund der Hexe ist ein anderer. Sie steht für die weiblichen archaischen Urkräfte. Der Ursprung des Wortes bedeutet „heilige Frau“ oder auch „Hebamme“. Sie ist die Schamanin. Die Hexe hat Zugang zum weiblichen Urwissen. Sie kennt die weisen Wege der Natur, der Heilung, der Weissagung, der Künste und Traditionen.[1] In ihrem Hexenkessel braut sie heilende Kräutermixturen. Sie ist mit dem Tod und der Vergangenheit ebenso verbunden wie mit der Zukunft und den großen Geheimnissen des Universums. „In Mythen bewohnt sie den undurchdringlichen Teil des Walds, den geheimen Tiefpunkt von Quellen, düstere Höhlen und abgelegenen Nebenwegen“, so Ronneberg, jene Orte, die dem Schattenbereich zugeordnet werden. Die Hexe lebt die Urkräfte des Weiblichen bedingungslos aus. Wie in vielen symbolischen Motiven wird aber oft nur der abschreckende Anteil einer Figur dargestellt. Die Kraft der Hexe versetzt uns in unsere wahre Natur, bricht Stillstand, setzt Dinge in Bewegung, ist Matrix schicksalhafter Transformationen.[2] Sie fordert dich auf kreativ, spielerisch und grenzenlos zu sein.
Das Weiche
Auch die symbolische Bedeutung von Krankheitssymptomen ist ein hilfreicher Wegweiser. Zum Bandscheibenvorfall beschreibt der Mediziner Ruediger Dahlke auszugsweise in seinem Buch „Krankheit als Symbol“ (S.2007, S. 191): „existentieller Überdruck; das Weiche, Weibliche wird vom harten männlichen Element in die Zange genommen; der weibliche Pol ist in der Klemme, er wird gepresst (erpresst?), innerer Druck bricht sich Bahn“.
Im Bild und Symptom spiegelt sich hier vor allem das Thema der weiblichen Urkraft.
Fragen könnten lauten:
Wie kannst du in deinem Alltag wild, grenzenlos und bedingungslos sein?
Wie kannst du mehr deine weibliche Kraft leben?
Wie wäre es, nur das zu tun was du willst, dich gegen das wehren, was du nicht willst?
Was will gelebt werden, egal was andere dazu sagen?
Wem willst/ musst du gefallen? Musst du?
Wo kannst du weniger Leistung und dafür mehr Liebe ins Leben bringen?
Was soll über Bord geworfen werden, muss vernichtet, losgelassen werden?
Wo willst du dich neu ausrichten, so dass es für dich stimmt, egal was andere dazu sagen?
Wo brauchst du weniger äußere und mehr innere Beweglichkeit?
Was möchtest du nur für dich neu entstehen lassen?
Wie steht es um dein inneres Feuer, deine Leidenschaft für das Leben?
Gibt es Menschen, die dir nicht guttun? Du darfst dich von ihnen verabschieden.
Ulrike Hinrichs 2021
Ulrike Hinrichs
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Quellen
[1] Walker, Barbara G. (1988, S. 347). Die geheimen Symbole der Frauen. Lexikon der weiblichen Spiritualität. München: Sphinx.
[2]Ronneberg, Ami (2017, S. 702). Archive for Research in Archetypal Symbolism ARAS. Das Buch der Symbole. Betrachtungen zu archetypischen Bildern. Köln: Taschen
Wir befinden uns in einer Zeitenwende. Überall sind Vorzeichen einer großen Veränderung sichtbar. Das kollektive Pendel schwingt von der männlichen zur weiblichen Energie. Mit diesen polaren Kräften sind keine Geschlechterzuschreibungen gemeint, sondern Zustände, die in allem Lebendigem gleichzeitig wirken. Tun und Sein, Denken und Fühlen. Nur im Gleichgewicht der Polaritäten kann sich das Leben in seiner vollen Kraft ausdrücken.
Wir sind energetische Wesen, die als menschliche Familie durch das Bewusstsein unserer rechten Hirnhälfte miteinander verbunden sind, beschreibt es die Neurowissenschaftlerin, Jill Bolte Taylor.[1] Die weibliche Energie stützt sich naturgemäß auf das Intuitive, das Fühlende. Sie nimmt den ganzheitlichen vernetzten Raum ein, wie es beispielsweise in der schamanischen Tradition üblich ist. Die Schamanin erhebt den Blick auf das größere Ganze, schaut auf die Verbindungen und Vernetzungen. Die Makroebene ist für den schamanischen Heiler maßgebend.
Die männliche Urkraft finden wir in der klassischen westlichen Medizin, die bis in die kleinsten Details hinein untersucht und forscht. Hier geht es um Zerlegen und Zerteilen, um das mikroskopisch Kleine, um bildgebende Verfahren wie MRT und Ultraschall. Es werden Symptome ausgemacht und behandelt. Für das Auge nicht sichtbare Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze können unter dem Mikroskop dargestellt werden. Das Blut wird mittels analytischer Geräte in seine einzelnen Bestandteile zerlegt und analysiert. Und im Elektrokardiogramm (EKG) kann die elektrische Aktivität des Herzens gemessen werden, um nur einige klassische Beispiele zu nennen.
Wie können wir diese wichtigen Qualitäten zusammenbringen? Beide Wege sind richtig und wichtig, sie müssen in Einklang gebracht werden.
In meiner Praxis nutze ich den künstlerischen Ausdruck als eine Form der intuitiven Sprache, die sich in Bildern, Metaphern, Geschichten und Symbolen ausdrückt. Sie entspringt der Kraft des großen Weiblichen. Intuition, Hingabe, Empfangen, Sein. In der Arbeit mit der „Krankheit als Bild“ bedeutet das, dass die Klient*innen zunächst eine gründliche medizinische Untersuchung vornehmen lassen und wir anschließend einen Blick in die Symbolik der Erkrankung wagen, das große Ganze betrachten.
Die Kunst ist eine Sprache, die in die Tiefe geht
Der künstlerische Ausdruck befreit uns aus unserem Denkgefängnis und schafft neue Perspektiven. Kunst ist ein Werkzeug des wilden assoziativen Denkens. Durch die Kunst können wir fühlen, erkennen und die Zukunft erspüren. Die Kunst ist eine Sprache, die in die Tiefe geht, uns unmittelbar im Inneren berührt. Kunst ist Ausdruck, der Eindruck hinterlässt.
In der schamanischen Tradition versucht ein Schamane/ eine Schamanin vor jeder Behandlung herauszufinden, welche Weisheit sich in der Krankheit spiegelt.
„Welche Weisheit steckt hinter deiner Erkrankung, was solltest du daraus lernen?“
Wir kennen diese erweiterte Perspektive ähnlich auch aus dem Neurolinguistischen Programmieren. „Was ist die positive Absicht der Krankheit, was will sie bezwecken?“
Oder auch in der klassischen Medizin: „Was ist der Krankheitsgewinn?“
Während wir uns aus der westlichen Perspektive allerdings nur auf das Individuum, bestenfalls noch auf sein Umfeld konzentrieren, bedeutet der schamanische Meta-Blick, dass wir auch in kollektive Felder eintauchen. Diese Betrachtung geht bis weit in die Ahnenreihe zurück. Wir sind Teil der Natur und leben in ihr. Schamanen vernetzten, nähren, verbinden sich mit allem, dem ganzen Universum. Sie haben Zugang zu ihren Ahnen. Sie sind eng verbunden mit Mutter Erde, sprechen mit der Natur, den Pflanzen, den Bäumen, Geistwesen.
Wir alle verfügen über die Sensoren, die für den erweiterten Weg des Sehens notwendig sind, beschreibt es der medizinische Anthropologe Alberto Villoldo, der fünfundzwanzig Jahre lang die Hochländer der Anden und des Amazonas bereiste und die schamanischen Heilpraktiken studierte. „Sie bestehen aus dem sechsten Chakra (das mystische „dritte Auge“ in der Mitte der Stirn) und dem vierten Chakra, dem Herzen. Indem wir das dritte Auge und das Herz-Chakra mit dem visuellen Kortex verbinden, können wir mit den Augen des Geistes und des Herzens sehen. Die Aufgabe besteht darin, ein „Kabel“ von diesen Chakras zur Leinwand im Gehirn zu legen.“[2]
Wir „sehen“ auf dieser intuitiven-ahnenden Ebene alle unterschiedlich. Vom Grundprinzip ist unser gesamter Körper wie eine Art „Lesegerät“ für die intuitive Wahrnehmung zu betrachten. Mit unseren Sinnen, unserem Körper, erfahren wir die Welt. Wir können vier Merkmale der intuitiven Wahrnehmung hervorheben: das wache Auge, die innere Stimme, das Bauchgefühl und das innere Wissen. Es gibt Menschen, die sehen tatsächlich konkrete Bilder, andere hören besonders deutlich ihre innere Stimme. Andere wissen es plötzlich einfach. Und ich beispielsweise fühle eher auf der intuitiven Ebene. Es ist eine fühlende Ahnung, die sich als Bauchgefühl ausdrückt. Über den künstlerischen Ausdruck können wir die Intuition sichtbar machen, manifestieren.
Ausführlich haben wir (meine Co-Autorin Andrea Wandel und ich) uns mit diesem Thema in unserem neuen Buch „Die Weisheit der weiblichen Wunde“ beschäftigt.[3] Das Buch erscheint in Kürze im Synergia Verlag. Wissenschaftlich habe ich das Thema zudem ausführlich in meinem Buch „Kunst als Sprache der Intuition“ vertieft.[4]
Die größte Herausforderung bleibt, diese metaphorische Sprache zu verstehen. Sie funktioniert oft wie in Träumen, zeigt sich beispielsweise in Symbolen, plötzlichen Erinnerungen, mythischen Figuren. Das assoziative wilde Denken, über das wir Zugang zu unserer Intuition haben, können wir bei der Bildbetrachtung nutzen.
Was kommt dir in den Sinn, wenn du auf das Werk schaust, wo zieht es dich hin? Gibt es Erinnerungen, Geistesblitze, Worte, Sätze, ein Lied, eine Musik, ein Gefühl u.v.m.
Ich möchte das an einem eigenen Symptom verdeutlichen. Weitere Praxisbeispiele finden Sie unter www.krankheit-als-bild.de
Seit längerem leide ich unter Bluthochdruck, der von einem beängstigenden Herztrommeln begleitet wird. Vor allem in der Nacht raubt das laute Trommeln und Klopfen mir den Schlaf. Bluthochdruck ist einer der „holy seven“ der psychosomatischen Erkrankungen. Es überraschte mich daher nicht, dass für die Symptome keine körperliche Ursache gefunden werden konnte. Die mir verordneten Tabletten zur Senkung des Blutdrucks wirken nicht.
Bluthochdruck ist eine Volkskrankheit, ich gehöre nun also dazu. Ich praktiziere nun Atemübungen, die den Parasympathikus aktivieren. Aber auch das hilft nicht immer. Nachdem mich das Herztrommel wieder einmal eine ganze Nacht nicht schlafen lies, beschloss ich mit der Kunst als Sprache der Sache auf den Grund zu gehen.
Es entstand das Herz-Bild, das eingans abgebildet ist. Ich war erstaunt darüber, ein so prall-leuchtend rotes Herz zu erblicken, das mir viel Lebensenergie und Power signalisiert. Allerdings kommt mir durch die Fäden und Farbspuren auch so etwas wie „Verstrickungen“ und „Verheddern“ in den Sinn. Der schwarze Fleck am oberen Bildrand erinnert mich an eine Spinne, die mit ihren langen Beinen nach dem Herz zu greifen scheint.
Die Spinne deutet in der Psychoanalyse auf eine gestörte Mutter-Tochter-Beziehung hin. In der schamanischen Krafttierdeutung hilft die Spinne „jene Kräfte ausfindig zu machen, welche deine Lebensenergie lähmen und dich in Abhängigkeit und Täuschung fesseln. Die Spinne geht mit dir in dunkle Ecken und Winkel, damit du Ordnung schaffen kannst“, so Ruland.[5] Die Spinne ruft uns auf, das Netz der Verstrickungen zu lösen und die feinen Zusammenhänge in allem zu erkennen. Sie weiht in die höhere Ordnung der Welt ein, indem sie uns mit Alter, Gefahr, Vergänglichkeit und Tod konfrontiert.
All dies sind Themen, die mich tief berühren. Das Thema Tod und Vergänglichkeit schafft sich aufgrund meines fortschreitenden Alters immer mehr Raum. Ich habe tatsächlich große Angst vor dem Tod. Diese Angst bringt mich zurück zu meiner schweren Krankheit als Teenager, an der ich fast gestorben wäre. Ich war über Monate in einem Lock-In Zustand (Guillain Barré Syndrom, siehe Wenn der Körper sich abschaltet )
Der schädliche Einfluss meiner schwierigen Vergangenheit, vor allem in der Kindheit und Jugend, ist zwar schon seit langem in einer kontinuierlichen Verarbeitung, kommt aber immer wieder zum Vorschein. Vielleicht bleiben diese Wunden, die viele von uns kennen, eine Lebensaufgabe. Für mich hat die Spinne eine belastende Bedeutung. Sie erinnert mich an den narzisstischen Missbrauch, den ich als Kind erfahren habe. Kontrolle, Liebesentzug, Abwertung, Vernachlässigung sind einige Stichworte dazu. Big mother ist wathing you.
Die Spinne ruft uns aber auch auf, wie Ruland schreibt, das Netz der Illusion zu zerreißen und die Wirklichkeit dahinter zu schauen. „Sie fordert auf, Geschichten zu weben und zu erzählen, damit die kreative Vorstellungsgabe, die Schöpferkraft des Menschen niemals versiegt“.[6]
Ich liebe an der ganzheitlichen Betrachtung, dass sich neben problematischen Themen immer auch Optionen und neue Perspektiven eröffnen.
Moosbild – Drei Steine für deine drei größten Traumata
Viele von uns werden von traumatischen Ereignissen aus der Kindheit bis ins hohe Alter verfolgt. Traumata bedingen einen schwerwiegenden Kontrollverlust bis hin zu Ohnmachtsgefühlen. Das führt zur Dissoziation, der Abtrennung vom Fühlen. Und das ist in der akuten traumatischen Situation eine großartige Reaktion unseres Körpers, denn sie ermöglicht uns, dass wir eine solche Situation überleben. Bleibt dieser Zustand erhalten, dann behindert er unser Leben. Unser Nervensystem ist hochempfindlich, Gefahren lauern überall. Wir fühlen uns wie ein Astronaut im eigenen Körper. Durch Kontrolle des Lebens und der Umstände, versuchen wir die Wiederholung traumatischer Ereignisse zu vermeiden. Dabei greifen viele zu Alkohol und anderen Betäubungsmittel, werden zu Workaholics oder verfallen in unkontrollierte Kaufräusche, um die innere Leere zu stopfen. Das Leben wird eng und kontrolliert.
Trauma braucht Großzügigkeit
Fühlen ist der erste Schritt zur Heilung, uns aus der Erstarrung lösen, den tiefen Schmerz zulassen. Wir müssen uns der (Todes-)Angst stellen, die traumatischen Ereignissen innewohnt. Trauma braucht Großzügigkeit, sich selbst zuhören, für sich selbst da sein, den Schmerz bezeugen. Wir dürfen auftauen. Trauma-Transformation verflüssigt die Realität. Die Weisheit der Wunde hinter unserem Trauma können wird nur erfahren. Das kann ein langer Prozess sein, therapeutische Unterstützung ist dafür angezeigt. Gleichzeitig bedarf es eines hohen Maßes an Selbstfürsorge. Oft erlebe ich, dass Klientinnen trotz Therapie und Selbsterkenntnis sich selbst bestrafen und beschimpfen, ungnädig mit sich sind, wenn sie Fehler machen. Wenn du dich fragst, was du tun kannst, dann geht es in einem ersten Schritt um eine Selbstfürsorge.
Kontrolliert die Kontrolle abgeben
Ich möchte dir ein wundervolles Ritual vorschlagen, das auch ich für mich zelebriert habe. Es kommt aus der schamanischen Tradition. In einem ersten Schritt suchen wir uns drei Steine (ganz gewöhnliche Steine, z.B. aus dem Wald oder vom Meer). Diesen Steinen hauchen wir anschließend unsere drei größten Wunden (Traumata) ein. Widme jedem Stein ein Trauma. Mit diesen Steinen kreieren wir ein Sandbild, das von einem Kreis gehalten wird. Das Bild darf mit anderen Fundstücken geschmückt werden, wie etwas Federn, Tannenzapfen, Muscheln, Obst. Auch diesen Utensilien hauchen wir etwas ein, Wünsche, Bedürfnisse oder Themen, die mit den Traumata zusammenhängen. Bei so einem Sandbild geht es aus der schamanischen Sicht darum, die schwersten Traumata zu transformieren und die Steine in Heilsteine zu verwandeln. Der Schamane nutzt sie für seine Heilarbeit. Denn unsere größten Kraftquellen verbergen sich hinter unseren traumatischen Erfahrungen.
Da ich am Fuße der Harburger Berge wohne, wo Sand Mangelware ist, wurde aus meinem Sandbild ein Moos-Bild. Das Naturbild lassen wir einige Tage liegen, schenken ihm Aufmerksamkeit, beobachten es, geben intuitiv neue Dinge hinzu, nehmen andere heraus. Bei mir flog vom Winde verweht eine Feder aus dem Kreis heraus. Ein schönes Symbol, dachte ich mir. Die Eichhörnchen klauten sich die Nüsse, die ich ins Bild gefügt hatte. Nachdem das Bild mindestens 3-4 Tage gelegen hat, übergeben wir die Einzelteile der Natur. Aus deinen Trauma-Steinen sind Heilsteine geworden. Ein schöner Anker, um dich an deine Kraft zu erinnern. Das ist die Weiheit der Wunde.
Bei dieser Übung passiert ganz automatisch etwas Beachtliches: wir beschäftigen uns mühelos und spielerisch mit den Ressourcen und Kräften, die uns ein traumatisches Erlebnis geschenkt hat, während wir sonst oft nur über die Qualen nachdenken.
Unser Gehirn liebt Zeremonien, Rituale und Bilder, wenn es darum geht, Veränderungsprozesse zu bewältigen. Wir kennen solche Zeremonien kulturell zu allen möglichen Anlässen, Hochzeiten, Konfirmation oder Jugendweihe, Beerdigungen, Geburtstage, Feiern zu bestimmten Ereignissen. Spirituelle Richtungen und alle Religionen sind voll von Ritualen und Zeremonien. Sie helfen uns, gerade schwierige Wandlungsprozesse durchzuhalten und zu vollziehen. Auch künstlerische Prozesse unterstützen Wandelungsprozesse.
Ich möchte das nun noch etwas anschaulicher illustrieren. Mehr dazu in meinem Beitrag Wenn der Körper sich abschaltet – Guillain-Barré Syndrom
Medusa 1981
Im Jahre 1979, mit 14 Jahren, erkrankte ich an einer „aufsteigenden Polyneuropathie mit Hirnnervenbeteiligung“ (Akute Polyneuroradikulitis (Guillain-Barré-Syndrom), eine schwere Autoimmunerkrankun. Folgen dieser Erkrankung sind entzündete Nervenwurzeln im Rückenmark, durch die die Nervenfasern beschädigt werden. Ich war über sechs Wochen in meinem komplett gelähmten Körper gefangen, konnte nicht mehr sprechen, schlucken, mich artikulieren, sah nur noch Doppelbilder. Das einzige, was im Kontakt zur Außenwelt funktionierte, war mein Höhrsinn. Ich hatte zu dieser Zeit dem Tod in die Augen geschaut. Ich stand kurz davor, dass die Krankheit die inneren Organe wie Herz und Lunge lähmte. Dieser Zustand ist lebensbedrohlich. Es war unklar, ob ich wieder vollständig genesen würde.
Nach meiner Krankenhausentlassung dauerte die Rekonvaleszenz noch etwa ein Jahr. Lange Zeit saß ich im Rollstuhl. In dieser Zeit entstand das Bild von Medusa, eine der drei Gorgonen – Gespenster mit Schlangenhaaren – aus der griechischen Mythologie. Nach der Sage heißt es, dass jeder der in ihre Augen blickt, augenblicklich in Stein verwandelt wird. Man erkennt in meinem Kunstwerk aus Teenagerjahren die Eiseskälte, den elektrisierenden Blick aus leeren Augen.
Medusa ist ein archetypisches Bild von Wut, Verrat und Scham, beschreibt es auch Ursula Wirtz in ihrem Buch: Stirb und werde, die Wandlungskraft traumatischer Erfahrungen. Das Symbol der Versteinerung, das Medusa repräsentiert, steht im Traumakontext auch für emotionale Betäubung. Der Mythos von Medusa wird auch als Aspekt der Dissoziation gesehen, das Abtrennen des Kopfes vom Körper. Und genau das ist auch in der Symbolik der Krankheit geschehen. Gleichzeitig steht Medusa in der Mythologie, was weniger bekannt ist, auch für eine helle schützende Seite. Sie ist die Göttin der Masken, des wilden Blickes und des „weisen Blutes“. Als Schlangengöttin verkörpert Medusa weibliches intuitives Wissen. Die Schlangen, die ihrem Kopf entspringen, symbolisieren Weisheit und Erkenntnis. Schon lange bin ich auf der Fährte der hellen und lichten Seite der Medusa als Schlangengöttin; ihrer Weisheit.
Was kann ich durch diese Erfahrung besonders gut? Das habe ich mich anlässlich meines Moos-Bildes noch einmal gefragt.
Medusa 2021
Ich habe eine Medusa 2.0. dazu erschaffen. Sie trägt die Schlangen als wunderschöne Haartracht. Sie blickt nach innen, nicht nach außen. Eine meiner Stärken, die durch das Trauma erweckt wurden, sind meine ausgeprägten Sinne. Oft höre, fühle, sehe ich Themen, die unausgesprochen in der Luft liegen. Ich habe keine Berührungsängste vor den tiefen Wunden und Schmerzen meiner Klientinnen. Meine größte Dissoziation durch die Erkrankung lässt mich auch die Dissoziation und den tiefen Schmerz anderer fühlen. Ich kann Themen wie Folter und Todesnähe, die mir in meinen Flüchtlingsgruppen begegnen oder auch Gewalterfahrungen, die in meiner Frauengruppe oft Thema sind, nehmen, aushalten, bezeugen. Für traumatisierte Menschen ist besonders wichtig, dass andere ihren Schmerz bezeugen können, indem ihnen jemand wirklich zuhört. Ich habe zudem ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl für verletzte Wesen. Der Tod in meinem Leben ist für mich eine Inspiration und Quelle geworden. Durch das Aufwachsen in einem narzisstischen Familiensystem (was den psychologischen Hintergrund zu meiner Erkrankung erklärt) wittere ich narzisstischen Missbrauch bei meinen Klientinnen unmittelbar. Viele berichten mir, dass sie schon Jahre Therapie gemacht haben, ohne dass sie vom Thema Narzissmus wussten. Für viele ist es daher eine große Hilfe. Dies sind einige Beispiele für meine Kraftquellen. Welches sind deine?
Beim narzisstischen Familiensystem gibt es wie auf einem Schlachtfeld Schwerverletzte unter allen Beteiligten. Insbesondere der mütterliche narzisstische Missbrauch findet in einem Familiensystem statt, das gesellschaftlich tabuisiert und daher oft unentdeckt bleibt. Das Bild der nährenden und liebenden Mutter steht im Vordergrund unserer gesellschaftliche Wunschperspektive.
Narzissmus als psychische Erkrankung ist eine Spektrumsstörung, die graduellen Ausprägungen sind unterschiedlich. Es zeigen sich Unterschiede zwischen einzelnen betroffenen Menschen und es gibt auch individuelle situationsabhängige Schwankungen. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung benutzen andere zur Selbstspiegelung, Bestätigung und um sich zu spüren. Im Fokus steht eine Selbstbewertungsstörung.
Menschen mit einer narzisstischen Störung wurden in ihrer kindlichen Psyche schwer verwundet. Narzisstische Muster entstehen, wenn primäre Bezugspersonen wie die Eltern dem Kind zu wenig emotionale Einstimmungen spiegeln. Fehlt das akzeptierende Feedback der Bezugsperson auf Gefühle des Kindes oder werden bestimmte Gefühle des Kindes durchgehend abgelehnt, so spaltet das Kind die abgelehnten Gefühle vom eigenen Selbst ab, um sich der Zuneigung und Liebe der Bezugsperson sicher zu sein. Um ihr verletztes Selbst zu regulieren^, haben Betroffene Überlebensstrategien entwickelt. Kennzeichnend für die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist eine ausgeprägte Selbstüberhöhung bei gleichzeitiger Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Gerade Schattenthemen werden im Außen (bei anderen Menschen) vehement bekämpft, damit der eigene Schatten sich nicht aus dem Kellerverlies befreien kann. Das Selbstwertgefühl kann nicht ausreichend reguliert werden.
Das zentrale Motiv in Beziehungen ist Anerkennung
Gefühllose und die Selbständigkeit des Kindes unterdrückende Erziehungsmuster sind symptomatisch für narzisstische Verhaltensweisen. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung wirkt toxisch und zerstörerisch auf ihr Umfeld. Das zentrale Motiv in Beziehungen, und zwar auch zu den eigenen Kindern, ist von Anerkennung dominiert. Sie bestimmt das gesamte Handeln der betroffenen Person.[1] Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sehen sich und andere daher nicht so, wie sie sind, sondern so, wie sie sie haben möchten.[2] Es kommt zu Idealisierung oder Abwertung anderer Menschen, auch gegenüber den eigenen Kindern.
Das Spielfeld von Narzissten
Narzissten haben eine Art inneres Spielfeld, das aussehen könnte wie ein Schachbrett, auf dem die Mitmenschen in ihrer Umgebung wie Figuren gestellt werden. Es ist das Feld der Bewertung, wie es der Psychiater Hagemeyer nennt.[3] Ich finde diese Metapher eines Spielfeldes sehr passend, weil man sich so die Aktion und Reaktion eines Narzissten gut vorstellen kann. Es folgt eine permanente Bewertung und Einordnung der Figuren auf dem Feld. Sind sie nützlich, sind sie wohl möglich besser als ich, wie sehen sie aus, was wollen sie von mir, wofür kann ich sie benutzen? Die Bewertungskriterien können sich auch ändern. Mal wird eine andere „Figur auf dem Spielfeld“ überhört. Wenn sie den narzisstischen Anforderungen nicht gerecht werden sollte, wird die Person wieder verschoben und abgewertet.
Kontrolle und Manipulation
Zur Aufrechterhaltung dieses Systems kontrollieren und manipulieren Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ihr gesamtes Umfeld. Auch unter den Geschwistern wird ein so genanntes Goldkind ausgewählt und ein Kind, das den Sündenbock darstellt. Das eine Kind wird überhört, das andere abgewertet, beide gegeneinander ausgespielt. In der unmittelbaren Umgebung des Narzissten werden Bewunderer und Follower gesucht, die die vermeintliche Grandiosität teilen. Andere Menschen, die eine solche Bewunderung nicht zeigen, werden als Gegner angesehen. Kompromisse oder eine gesunde Austragung von Konflikten, widerstreitenden Interessen, gibt es nicht.
Es braucht wenig Fantasie sich vorzustellen, wie destruktiv und zerstörerisch solche Muster auf Kinder wirken. Töchter narzisstischer Mütter haben zudem noch mit einer weiblichen Konkurrenz zu tun. Die aufkeimende Weiblichkeit der Tochter muss von der Mutter abgewertet werden, um die eigene Schönheit und Weiblichkeit aufrecht zu erhalten. Von Sätzen wie „du bist zu fett“, „du kriegst sowieso niemanden ab“ oder auch „du bist hässlich“ berichten Klientinnen in allen Facetten. Auch der Partner der Tochter wird entweder abgewertet oder die Mutter selbst umwirbt ihn. „Meine Mutter behauptete immer, dass angeblich alle meine Exfreunde was von ihr wollten“, schilderte eine Klientin. Solche Erfahrungen sind sehr typisch.
TraumatisierendesFamiliensystem
Kinder in solchen Familiensystemen wachsen in einer Trauma-Atmosphäre auf.
Einige typische Folgen für Betroffen sind:
Fehlender Selbstwert, fehlendes Vertrauen in Menschen, fehlendes Urvertrauen
Ohnmachtserfahrungen bis hin zu Todesangst (Die Angst vor dem Verlassen werden wirkt für Kinder lebensbedrohlich)
Ein großes Bedürfnis nach Bindung bei gleichzeitiger unüberwindbarer Angst vor Bindung (Nähe-Distanz Probleme)
Schwierigkeiten Grenzen zu setzen (Angst vor Liebesentzug, Verlassen werden)
Permanente Überachtsamkeit, dass etwas Schlimmes passieren könnte (Ohnmachtsgefühle aus der Kindheit, kein Vertrauen)
sich von toxischen Menschen angezogen fühlen (Wiederholungsmuster des narzisstischen Missbrauchs)
Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten (Angst vor Ablehnung)
Taubheitsgefühle (emotionale und körperlich Taubheit), Rationalisierung
Suchtverhalten (die innere Leere auffüllen)
Toxische Scham und Schuldgefühle
Überbetonung von Leistung, Erfolg
Angst vor Menschen, soziale Phobien
Angststörungen, Borderline Störung, eigene narzisstische Persönlichkeitstörung
In unserem neuen Buch (erscheint 2022) „Die Weisheit der weiblichen Wunde“ bekommen u.a. auch vom toxischen Narzissmus betroffene Frauen eine Stimme. Nur jede einzelne selbst kann sich bewusst aus dem Spinnennetz des Narzissmus befreien. Dazu bedarf es im allersten Schritt einer Bewusstheit für das Thema.
Kreativität ist ein Schlüssel zur Befreiung aus dem narzisstischen Erbe
Unser neues Buch behandelt auch das Thema Narzissmus ausführlich
Literatur
[1] Sachse, Rainer (2020). Persönlichkeitsstörungen verstehen. Zum Umgang mit schwierigen Klienten. Köln: Psychiatrie Verlag.
[2] Johnson, Stephen M. (2011). Der narzisstische Persönlichkeitsstil.
[3] Hagemeyer, Pablo (2020. S. 227). „Gestatten ich bin ein Arschloch“. Ein netter Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten.
Narzissmus ist in seiner gesunden Ausprägung eine wichtige Eigenschaft jedes Menschen. Alle Menschen verhalten sich in ihrem Leben mehr oder weniger narzisstisch. Narzissmus in seiner positiven Kraft bringt uns in Aktion, lässt uns im Rampenlicht stehen und Menschen begeistern. Nicht jede Selbstbezogenheit beschreibt daher eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. In seiner pathologischen Form ist Narzissmus zerstörerisch und oft menschenverachtend.
Für pathologische Narzissten sind andere Menschen nur wichtig, wenn sie eine Funktion für sie erfüllen. Das gilt auch für die eigenen Kinder. In meiner Arbeit mit verletzten Frauen begegnen mir immer wieder Klientinnen, die unter pathologisch narzisstischen Eltern aufgewachsen sind. Männern billigt man gesellschaftlich eher ein auch überzogenes narzisstisch Verhalten zu, passt es doch gut in das leistungsorientierte Gesellschaftssystem. Der mütterliche Narzissmus dagegen ist ein Tabu. Viele Frauen, die unter narzisstischen Müttern aufgewachsen sind, haben gar keine Worte dafür, was ihnen wiederfahren ist. Immer wieder höre ich von Klientinnen, dass sie oft jahrelang Psychotherapie gemacht haben, aber nie auf dieses Thema gestoßen seien. Auch ich habe als Betroffene erlebt, dass Therapeut*innen das Ausmaß dieses Missbrauches oft gar nicht nachvollziehen können.
Den pathologischen Narzissmus kann man in weiblichen und männlichen Narzissmus unterschieden. Diese Zuordnung beschreibt männlich und weiblich narzisstische Persönlichkeitsanteile und stellt keine Geschlechterzuordnung dar. Männer können demzufolge weiblich narzisstische Anteile zeigen und Frauen männliche, ebenso gibt es Mischformen. Wir alle haben männliche und weibliche Qualitäten.
Das weibliche Prinzip steht in seiner positiven Ausprägung für Hingabe und Empfänglichkeit. Die weibliche Kraft in der toxischen Übertreibung bedeutet Einengen, Festhalten, Abhängig machen, Verschlingen, Fressen und Zerstören. Das männliche Prinzip beschreibt den aktiven Teil in uns. In seiner negativen Ausprägung, wie wir es beim männlichen Narzissmus finden, führt diese Kraft zur Überbetonung von Leistung und Erfolg. Auch eine narzisstische Mutter kann ausgeprägt männlich narzisstische Verhaltensweisen zeigen, die eher auf Grandiosität, Erfolg und Leistung ausgerichtet ist. Diese Mutter würde etwa für sich selbst eine erfolgreiche Karriere anstreben und dies vor allem auch von ihren Kindern verlangen. Während der männliche Narzissmus von Macht und Erfolg dominiert wird, zeichnet den weiblichen Narzissmus vermeintliche Überfürsorge und Besorgnis aus. Auch die sich für ihre Tochter vermeintlich „aufopfernde Mutter“ wird dem weiblichen Anteil zugeschrieben. Diese Form des oft unerkannten Narzissmus wird auch vulnerabler Narzissmus bezeichnet. Diese Frauen impfen ihren Töchtern Schuldgefühle ein, indem sie immer wieder betonen, was sie alles für ihr Kind aufgegeben haben, wie sehr sie sich doch kümmern würden. Die übertrieben sorgenvolle narzisstische Mutter nutzt die Bedürftigkeit des Kindes indem sie die Tochter bestenfalls Zeit ihres Lebens in der Abhängigkeit hält.
Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung setzen alles daran nach außen perfekt zu erscheinen, sei es im Hinblick auf die Familie oder die eigene Attraktivität und Schönheit. Deshalb ist für Außenstehende der narzisstische Missbrauch, der ohnehin sehr subtil ausgeübt wird, schwer zu erkennen. Es bestehe zudem die stillschweigende Übereinkunft, dass über diese narzisstische Familiendynamik nicht diskutiert, geschweigen denn etwas nach außen getragen wird, so die Psychotherapeutin McBride, die den Vergleich zum wunderschönen Apfel findet, der äußerlich perfekt, aber innerlich „verwurmt“ ist.[1]
Zur Aufrechterhaltung des narzisstischen Selbstbildes sind eigene Fehler, vor allem aber auch Fehler der Kinder unbedingt zu vermeiden. Alles muss perfekt sein. Gleichzeitig vermittelt die narzisstische Mutter ihrer Tochter, alles besser zu können, grandios zu sein. Auf vermeintliches Fehlverhalten der Tochter wird mit Liebesentzug oder sogar körperlicher Gewalt reagiert.
Bestrafung durch Liebesentzug
Eine Klientin berichtete:„Ich wurde auch für die kleinsten Vergehen mit tagelangem Schweigen bestraft. Manchmal dauerte es Wochen. Ich wusste nie, woran ich bei meiner Mutter bin. Manchmal ging sie wortlos und ich wusste nicht, ob sie jemals wiederkommt. Irgendwann tat meine Mutter dann wieder so als wenn nichts gewesen wäre.“
Töchter narzisstischer Mütter lernen sehr schnell, ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken und richten sich stattdessen nach den Befindlichkeiten der Mutter. Darauf wurden viele Töchter trainiert, um der Mutter keinen Ärger zu bereiten, um ihren Zorn nicht zu entfachen. Feinste Gesten und Veränderungen in der Stimmung der Mutter musste die Tochter interpretieren können. Und diese bitter erlernte Gabe, hat die Tochter sie erst einmal erkannt, kann sie auch für ihre Selbstheilung nutzen. In einem ersten Schritt müssen Betroffene wieder lernen, zu fühlen, ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren. Da sie gelernt haben, dass die Formulierung eigener Bedürfnisse zu Liebesentzug führen wird, ist das Thema in Beziehungen oft sehr schwierig. Betroffene Frauen verlieren sich in der Beziehung, missachten ihre eigenen Grenzen, Wünsche und Bedürfnisse.
Die Seele erstarrt
Viele fliehen in den Perfektionismus. Bloß nichts falsch machen. Perfektionismus ist die Angst vor der eigenen Fehlerhaftigkeit und der Besorgnis, dass andere dies bemerken könnten. Die Seele erstarrt, hemmt das Leben, führt zur Angst vor Liebesentzug und Ausgrenzung. Perfektionismus beinhaltet ein Streben nach hohen eigenen Standards und ein hohes Maß an Organisiertheit. Die Besorgnis hinter dem Perfektionismus ist der leistungsbezogene Zweifel, eine Fehlersensibilität und eine Bewertungsängstlichkeit. Auch kollektiv kommen wir aus einer narzisstischen Epoche, die das Prinzip Liebe für Leistung fördert.
In unserem neuen Buch „Die Weisheit der weiblichen Wunde“ bekommen u.a. auch vom toxischen Narzissmus betroffene Frauen eine Stimme. Nur jede einzelne selbst kann sich bewusst aus dem Spinnennetz des Narzissmus befreien. Dazu bedarf es im allersten Schritt einer Bewusstheit für das Thema.
Kreativität ist ein Schlüssel zur Befreiung aus dem narzisstischen Erbe
Durch das authentische künstlerische Schaffen mobilisieren wir unsere Selbstheilungskräfte. Wir können dieses Leitsystem auch Intuition oder intuitive Führung nennen. Der Mediziner und Psychotherapeut Dr. Hans Hein, der das Vorwort zu meiem Buch geschieben hat, konstatiert, dass der/die innere Heiler/in so etwas wie ein eingebauter Resonanzdetektor sei, der sensibel auf die Wahrnehmung von körperlichen, emotionalen und seelischen Unstimmigkeiten ausgerichtet sei.[1]
„Der physiologische Hintergrund dieser Fähigkeit speist sich aus all den Anteilen in unserem Nervensystem, die mit dem evolutionären und archaischen „Urwissen“ unserer Körperinformation verbunden sind. Die Kunst ist es genau das wahrnehmbar und zugänglich zu machen. Der Zugang gelingt über das Training der Intuition und die Übersetzung der inneren Wahrnehmungen in Bilder von Gestalten, die sehr oft mythischen Charakter haben, also eine Verbindung zum kollektiven Unbewussten herstellen. Mittlerweile gibt es eine wissenschaftliche Betrachtung von zwei Grundformen des Denkens, das schnelle und das langsame. Das schnelle entspricht der intuitiven holografischen Wahrnehmung, das langsame eher der dem logisch sequenziellen. Der innere Heiler ist eine Funktion der unmittelbaren Wahrnehmung der individuellen Realitäten mit der Chance die verzerrenden und krankmachenden Schwingungsmuster zu identifizieren und zu verändern“, so Hein.[2]
Künstlerische Prozesse können den Weg der Heilung unterstützen.
Wie sieht dein innerer Heiler, deine innerer Ärztin aus? Lass dich überraschen. Das kann ein konkretes Wesen sein, aber auch in abstrakten Bildern können sich diese Energien ausdrücken. Welche Farbe zieht dich an? Welche Form? Fühle intuitiv, ob es sich um einen männliche oder weibliche Energie, einen Arzt oder eine Ärztin, handelt. Hier geht es nicht um Geschlechterzuschreibungen, sondern um die polaren Urkräfte, Tun und Sein. Die männliche Urkraft steht für anderer Impulse als die weibliche.
Diffus, fließend und formlos
Das weibliche Prinzip steht in seiner positiven Ausprägung für Hingabe und Empfänglichkeit. „Tief in uns verborgen leben eine innere Frau, eine Magierin und Feuerhüterin. Sie kümmert sich darum, dass das innere Leuchten, die Urkraft, nie erlischt. Sie ist ganz lebendig, voller Ideen, Mut und grenzenloser Loyalität, angefüllt mit weisen Einsichten und Liebevollen Empfindungen“, beschreibt es Westphalen.[3] Die weibliche Energie ist eher diffus, fließend und formlos. Gleichzeitig ist sie schöpferisch-gestaltend, gebärend, verwandelnd und heilend. Die weibliche Kraft, die etwa in der Medizin der schamanischen Tradition vertreten ist, sieht das größere Ganze, hat einen Meta-Blick.[4]
Impulsiv, spontan und zielgerichtet
Das männliche Prinzip beschreibt das Denken, Handeln und die Aktivität. Die männliche Energie ist impulsiv, spontan, zwanglos, triebhaft, fokussiert und zielgerichtet, kämpferisch, dynamisch, leistungs- und wettbewerbsorientiert. Die männliche Urkraft finden wir auch in der klassischen Medizin vertreten, die bis in die kleinsten Details hinein untersucht und forscht. Positiv gelebte männliche Kraft führt zu Mut, Entschlossenheit, Klarheit, Akzeptanz und größtmöglicher Freiheit.
Welche Botschaft hat deine innere Heilerin für dich?
Ulrike Hinrichs
„Krankheit als Bild“ bald überall im Buchhandel
[1] Hein, Hans in Hinrichs (2019, S.74). Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen.
[2] Ulrike (2019, S. 74). Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen.
[3] Westphalen, Jutta (2016, S. 659). Die Urkraft der Weiblichkeit oder weshalb Frauen die besseren Lebenskünstler sind“
[4] Croissier, Getrude R. (2006), Psychotherapie im Raum der Göttin. Weibliches Bewusstsein und Heilung.
Wenn deine Krankheit eine Landschaft wäre, wie sähe die aus?
Fibromyalgie
Die 57-jährige Klientin leidet seit vielen Jahren unter Fibromyalgie, eine chronische Schmerzerkrankung, die sich durch Schmerzen in verschiedenen Körperregionen äußert. Die Schmerzen können auf der Haut, in den Muskeln und Gelenken spürbar sein. Andere typische Beschwerden sind Schlafstörungen, Erschöpfung und Konzentrationsprobleme.
In unserer Gruppe „Krankheit als Bild“ arbeiten wir mit der Kunst als Ausdrucksform. Die Kunst dient uns als Übersetzungshilfe für unbewusste Problemthemen. Symbole können diese Themen auf einer metaphorischen Ebene verdichten und auf den Punkt bringen.
Wenn dein Schmerz, dein Symptome, deine Erkrankung eine Landschaft wäre, wie würde diese aussehen? So lautete der Auftrag für ein Bild. Durch solche metaphorischen Verwandlungen von Körpersymptomen wechseln wir vom rational analytischen Denken zum intuitiven Fühlen. Wir schöpfen aus der Quelle des Unbewussten.
Die Klientin malte einen Vulkanausbruch, vor dem sich talabwärts eine friedlich wirkende Weidelandschaft ausbreitet. Sie berichtete, dass sie ursprünglich eine Berglandschaft habe malen wolle. Im Malprozess sei sie ganz hibbelig geworden. Voller Energie. Aus den Bergen wollten Vulkane werden, die ihre Lava ins Tal ergießen.
Neben ganz individuellen Assoziationen der Klientin und der Gruppenteilnehmer*innen helfen bei der Kunst als Sprache der Intuition auch kollektive Deutungen von Symbolen. C.G. Jung hat sie als Archetypen beschrieben. Auch die Landschaft selbst zeigt ihre Potentiale im Kontext der Erkrankung. Bei einem Vulkan brodelt es lange Zeit unter der Oberfläche, bis sich plötzlich und unerwartet die heiße Lava in Feuerfontänen erbricht. Wie aus einem Drachenschlund speit der aktive Vulkan Feuer. „Das Feuer entzündet bei Sonnenhitze die Natur, brennt lichterloh und mit züngelnden Flammen, glüht und schwelt es unterirdisch, bricht mit einem Mal aus und verwandelt sich in ein rasendes Inferno. Alles Lebende wird auf irgendeine Art von Feuer befruchtet, temperiert, zur Reife gebracht oder vernichtet“, beschreibt es Ami Ronneberg (Das Buch der Symbole. Betrachtungen zu archetypischen Bildern, S. 82)
Im übertragenen Sinne kann die Symbolik des Vulkans und des Feuers beuteten, dass etwas nach draußen will, was unter der Oberfläche gefangen ist. Lebensfeuer?! Leidenschaft!? Lebenskraft? Wünsche, Ideen werden möglicherweise unter dem Deckel gehalten. Gefühle werden kontrolliert. Es gibt viel unterdrückte Wut. Der Ärger wird festgehalten.
Auch Symptome zeigen eine symbolische Bedeutung. Der Mediziner und Arzt Ruediger Dahlke ist auf diesem Gebiet ein Vorreiter. In seinem Buch „Krankheit als Symbol“ beschreibt er zu einzelnen Symptomen die jeweilige Deutungsebene und zeigt Wege zur Einlösung der unbewussten Themen auf. Zur Fibromyalgie schreibt er auszugsweise: große Angst vor Veränderungen, enorme Vorsicht und Rücksicht (auf sich selbst), lieber am Gewohnten festhalten, als Ausbruchsversuche wagen, die Umsetzung innerer Impulse in äußere Aktivitäten funktioniert nicht gut oder nur unter Schmerzen.
„Die Krankheit hält mich vom Leben ab“, so die Klientin, „aber vielleicht bedeutet der Vulkan tatsächlich auch noch etwas anderes. Ich kann nämlich seit Jahren nicht mehr über meine Situation weinen. Es kann mir noch so schlecht gehen, Tränen kommen nicht. Vielleicht bräuchte ich mal so einen Vulkanausbruch.“
Einige Impulsfragen könnten lauten:
Wofür brennst du wirklich?
Wo willst du ausbrechen?
Wofür brauchst du deine Kraft wirklich?
Wo brennt es unter der Oberfläche, in der Seele?
Wo unterdrückst du Lebensenergie, Leidenschaft?
Welche Wünsche und Ideen wollen verwirklicht werden?
Wo steckt der Schmerz fest?
Wir kannst du deine inneren Kräfte mobilisieren?
Was macht dir Druck? Was unterdrückst du?
Wer oder was ärgert dich?
Wie steht es um deine Wut, darf sie ein Ventil bekommen?
Was will befruchtet was will vernichtet werden?
Was will zu Leben erwachen?
Wer oder was darf und muss aus deinem Leben gehen?
Wovon brauchst du mehr oder weniger?
Was nährt dich? Was gibt dir Kraft?
Wann bist du in deiner Kraft, Lebensenergie?
Wie steht es um deine Balance zwischen TUN und SEIN?
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Magie to go
In der Gruppe haben wir zu unserer Bildern noch ein kleines Experiment gewagt. Die Teilnehmer*innen haben sich zu ihrer Erkrankung eine Frage aufgeschrieben, die den anderen vorborgen blieb. Bei der Bildbetrachtung durch die Gruppe lautete der Auftrag. „Wie ist die Antwort auf die unbekannte Frage?“ Ein Auftrag, der unseren Verstand durcheinander bringt. Denn wie soll man eine Frage beantworten, die man nicht kennt? Die Antwort liegt im Bild. Wir können die Antworten intuitiv wahrnehmen.
„Wozu willst du mich bringen“, lautete die geheime Frage der Klientin, die die Gruppe erst nach den folgenden Antworten der anderen Kursteilnehmer*innen erfuhr:
Lass es raus
Mach es so wie DU es möchtest
Lebe wieder
Die Klientin war überrascht, wie passgenau die Antworten zutrafen. So funktioniert die Kunst als Sprache der Intuition. Es ist immer wieder Magie für mich.
Wenn dein Symptom ein Tier wäre, welches wäre es? Die Ameise für Multiple Sklerose
Die 30-jährige Klientin bekam vor einem halben Jahr die Diagnose Multiple Sklerose, eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Körpereigene Zellen greifen die Myelinscheiden von Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark an.
In unserer Gruppe Krankheit als Bild arbeiten wir mit der Kunst als Ausdrucksform. Die Kunst dient uns als Übersetzungshilfe für unbewusste Problemthemen. Symbole können diese Themen auf einer metaphorischen Ebene verdichten und auf den Punkt bringen. Gern arbeite ich mit Tiersymbolen.
Wenn dein Symptom ein Tier wäre, welches wäre es? Das für die Erkrankung typische und sehr unangenehme Kribbeln assoziierte die junge Frau mit einer Ameise.
Für die Bedeutungen der Tiersymbolik können wir auf die Lebensweise der Tiere blicken, ebenso wie auf kollektive Deutungen aus Mythen und Geschichten. Bei Tieren liefern auch Krafttiere aus dem Schamanismus hilfreiche Impulse.
Ameisen zählen zu den stärksten Lebewesen überhaupt. Sie können bis zum Vierzigfachen ihres eigenen Gewichts tragen. Einige Ameisen in Afrika können einen ganzen Wald leer räumen, wenn die Nahrung knapp ist. Ihre Bauten sind architektonische Meisterwerke. Ihre Staaten perfekt organisiert. Die Botschaft der Ameise ist daher die Strategie der Geduld. Auch steht sie für Gemeinschaft und eine natürliche Ordnung. Gleichzeitig kann die Ameise auch darauf hindeuten, eine schwere Last zu tragen, zu perfektionistisch zu sein oder zu sehr zu planen.
Ameisengift als Ausdruck von Wut und Zorn
Das Ameisengift und sein Brennen ist das Gegengift zum inneren Brennen, verursacht durch unterdrückte Wut und Zorn. Die Ameise spiegelt die Wutkraft, die man gegen sich selbst richtet, statt sie auszuleben. Wenn du anderen Menschen Macht über dich gibst, dich klein machst, dich unwichtig glaubst, dann unterdrückst du deine eigene feurige Kraft. Die Ameise zeigt dir den Weg, dir diese Kraft zurückzuerobern, so die Krafttierbotschaft. Vielleicht sagt sie dir auch, dass du dich zu sehr um die Angelegenheiten anderer Menschen kümmerst, statt um dich selbst. Die Ameise wird dich so lange stören und nerven, bis du deinen Platz gefunden hast. Sie kann auch darauf hinweisen, dass du zu viel Verantwortung tragen musst. (Krafttierdeutung aus: Jeanne Ruland, Krafttiere begleiten dein Leben)
Auch Symptome zeigen eine symbolische Bedeutung. Der Mediziner und Arzt Ruediger Dahlke ist auf diesem Gebiet ein Vorreiter. In seinem Buch „Krankheit als Symbol“ beschreibt er von A-Z zu einzelnen Symptomen die jeweilige Deutungsebene und zeigt Wege zur Einlösung der unbewussten Themen auf. Zur Multiple Sklerose weist Dahlke vor allem auf eine hohe Eigendisziplin, Unterdrückung von Impulsen und zu viel Kontrolle hin. Sich selbst mit größter Härte zurücknehmen, Abkehr von den eigenen Stärken und Möglichkeiten, sind weitere wichtige Stichpunkte. Sich selbst bremsen und lähmen, einen Weg gehen, der nicht der eigene ist, sich nach den Bedürfnissen und Wünschen anderer richten, können ebenso von Bedeutung sein.
Einige Fragen können lauten:
Bist du oft hart zu dir selbst?
Gehst du deinen eigenen Weg?
Kümmerst du dich viel um andere Menschen?
Nimmst du deine unbändige Wut wahr?
Was unterdrückst du?
Was lähmt dich?
Kontrollierst du, planst du viel im Voraus?
Welche Kraft unterdrückst du in dir?
Was will zu Leben erwachen?
Was willst Du vom Leben?
Welchen Platz möchtest du einnehmen?
Nimmst du dir genug Raum?
Wo und mit wem bist du gern in Gemeinschaft, wo ist es zu viel?
Wir alle leben zwischen den Polen der weiblichen und männlichen Kraft. Die Begrifflichkeiten haben nichts mit der Geschlechterzuordnung zu tun. Beide Pole leben in jedem Menschen, schon C.G. Jung hat die Archetypen der Anima, als Urbild der Frau im Mann und des Animus als Urbild des Mannes in der Frau beschrieben. Das weibliche Prinzip steht für Hingabe und Empfänglichkeit. Die Energie ist eher diffus, fließend und formlos. Gleichzeitig ist sie schöpferisch-gestaltend, gebärend, verwandelnd und heilend. Das männliche Prinzip beschreibt das Denken, Handeln und die Aktivität. Die männliche Energie gibt Inspiration. Sie ist fokussiert und zielgerichtet, kämpferisch, dynamisch, leistungs- und wettbewerbsorientiert. Die männliche Energie schützt und hält die weibliche Energie. Beide Kräfte sind gleichwertig, die männliche Energie ist allerdings in unserer westlichen Kultur durch die materialistisch-mechanistische Weltsicht überbetont worden. Wettbewerb, Leistung und wissenschaftliche Fakten stehen im Fokus der Gesellschaft. Das Weltbild bzw. die Werte der Gesellschaft sind allerdings im Wandel. Sinnsuche, Respekt vor der Natur und ihren Geschöpfen sowie eine nährende Gemeinschaft treten mehr und mehr in den Vordergrund.
Das bewusste Zurückkehren zur weiblichen Energie wird durch eine Veränderung des Fokus erreicht, indem wir die Aufmerksamkeit nach innen richten. „Empfangen, Weiten, Austragen und Hergeben – dies ist das Mysterium des Großen Weiblichen, das Grundmuster der weiblichen Schöpfungskraft“, beschreibt es Croissier.[1] Umhüllen, Bergen, Halten, Bewahren, Nähren und Schützen sind Stärken der weiblichen Urkraft, in ihrer übertriebenen Ausprägung gehören zum Großen Weiblichen: „Einengen, Festhalten, Abhängigmachen, Verschlingen, Fressen, Töten (…).“[2]
Zur Wiedererweckung der weiblichen Urkraft geht es darum, sich dieser Kraft bewusst zu werden und sie ins Leben zu integrieren.
Fragen dazu können lauten:
Was steht für die weibliche Urkraft, die große Mutter?
Wie sieht es mit meiner weiblichen Kraft aus?
Wo umhülle ich jemanden oder etwas, halte und nähre?
Wo enge ich ein?
Wo halte ich fest, obwohl ich loslassen müsste?
Wo verschlinge ich jemanden oder etwas?
Von wem oder was bin ich abhängig?
Wen oder was mache ich von mir abhängig?
Wo kann ich einfach nur sein?
Was tut mir gut, um nichts zu tun?
Was hält mich davon ab, nichts zu tun?
Mit wem oder was fühle ich mich tief verbunden, wäre ich gern verbunden?
Anschließend können Sie ihre weibliche Kraft künstlerisch umsetzen.
Wie sieht sie aus, die weibliche Kraft? Was Ihnen fällt auf? Welche Farben hat sie? Was gefällt Ihnen, was nicht ….?
Das Universum schafft künstlerisch. Um mit ihm zu kommunizieren müssen wir kreativ sein.
Ulrike Hinrichs
Während meine Eltern in den 1970er mit Religion nichts am Hut hatten, ging ich mit meiner Großmutter in der Diaspora in Hamburg oft in die Kirche. Sie stammte aus Aachen und war erzkatholisch. Ich lernte von ihr all die Mythen und Geschichten um Jesus von Nazareth. Es gab viele Gebete, die ich in der Kirche mitsprechen konnte. Ich lernte das Glaubensbekenntnis, in dem mich ein Satz über Jesus Christus besonders beeindruckte: „hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel …“
Wie sollte das gehen? Ein Toter fährt in den Himmel wie mit einem Fahrstuhl? Ich war verwirrt, fragte mich, wo all die seit Jahrhunderten Verstorbenen Platz finden sollten. Der Himmel müsste maßlos überfüllt sein, sinnierte ich in meiner kindlichen Naivität. Je älter ich wurde, desto mehr zweifelte ich an all den Regeln und Vorschriften, die mich die katholische Kirche lehrte. Leider brachte mich das ganze System Kirche ganz weg von spirituellen Gedanken. Ich glaubte fest an das, was mir in der Schule, unserer Gesellschaft, beigebracht wurde: Die Welt, sogar der Mensch, funktionieren wie eine Maschine. Bewusstsein wird vom Gehirn produziert. Der Stärkere setzt sich durch. Die ganze evolutionäre Entwicklung ist mit „Zufällen“ zu erklären. Und so weiter und so fort.
Es sollte Jahrzehnte dauern, bis ich mich wieder für spirituelle Themen öffnen konnte. Paradoxerweise war es die Wissenschaft, die mich an neue Impulse und Perspektiven führte. Immer öfter begegnete mir die Verbindung zwischen Wissenschaft und Spiritualität. In verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten breitete sich die Idee einer holistischen Weltsicht jenseits der materialistischen Perspektive immer mehr aus (ausführlich dazu in meinem Buch Kunst als Sprache der Intuition). Wir sind alle miteinander verbunden. Wir sind Teil des Ganzen und spiegeln gleichzeitig das Ganze. Wir können über große Distanzen hinweg, ohne körperliche Anwesenheit, miteinander in Kontakt sein. Die Welt ist ein lebender Organismus, der wiederum Teil eines lebendigen Universums ist.
Was mich besonders faszinierte waren die neuen Idee der Quantenphysik, wonach es mehr als die drei uns bekannten Dimensionen gibt. Albert Einstein brachte bereits die vierte Dimension (Raum-Zeit) mit ins Spiel. Mittlerweile gibt es Wissenschaftler, die von teils bis zu zwölf Dimensionen (zum Beispiel der Physiker Burkhard Heim) ausgehen. Und es entwickelte sich die Annahme, dass unser Bewusstsein eine Dimension des Universums darstellt. Das würde bedeuten, dass das individuelle Bewusstsein als Teil eines größeren universellen Bewusstseins, vergleichbar mit einer Welle im Ozean, zur Entwicklung des gesamten Bewusstseinsfeldes beiträgt. So wie es elektromagnetische Felder oder Gravitationsfelder gibt, bestehen Bewusstseinsfelder, die Bestandteil der universellen Prinzipien sind. Das ganze Universum entwickelt sich durch unser Bewusstsein weiter. Und wenn wir auf die gesamte Menschheitsgeschichte blicken, dann sehen wir tatsächlich eine beeindruckende evolutionäre Entwicklung, einen gigantischen Zuwachs an Wissen bis hin zu einer globalen Vernetzung der Menschheit durch die heute mögliche virtuelle Verbindung im Internet.
Die Wissenschaft entwickelt sich mit der Menschheit weiter, bringt neue Erkenntnisse und Perspektiven. Sie schafft gleichzeitig immer nur eine Momentaufnahme auf die gerade aktuelle Zeit. Oder um es mit dem Mediziner und Coach Dr. Hans Hein zu sagen, der das Vorwort zu meinem Buch „Kunst als Sprache der Intuition“ geschrieben hat:
Wissenschaft ist der gegenwärtige Stand des Irrtums
Hans Hein
Wenn wir uns also auf die Idee einlassen, dass Bewusstsein ein Teil des gesamten Universums ist, dann müsste das Bewusstsein eines Menschen nach dem Tod erhalten bleiben. Wie eine Welle im großen Meer verschwindet, könnte auch das individuelle Bewusstsein ins Bewusstseinsfeld eintauchen. Davon gehen im Übrigen alle Religionen und spirituellen Lehren aus.
Eine Frage bleibt offen, nämlich ob dieses „individuelle Bewusstsein“ dann noch „wiederzufinden“ ist im großen Ganzen. Oder um es mit anderen Worten auszudrücken: können wir Lebenden mit diesen Bewusstseinsrückständen in Kontakt kommen? Denn alles ist Energie, alles ist verbunden. Schamanen, Medien, spirituelle Lehrer gehen ganz selbstverständlich in Kontakt mit ihren Ahnen.
Meine Neugierde zu dieser Frage spülte mich ins Arthur Findlay College, das ich erstmals 2008 besuchte. Es ist weltweit das einzige College, das sich ausschließlich der spirituellen Philosophie widmet. Als ich mich mit dem Taxi vom Flughafen London Standsted dem Anwesen näherte, überwältigte mich das „Harry-Potter-Schloss“, das sich aus dem Grün der englischen Landschaft emporhob.
Arthur Findlay College im grauen November, London
Hochkarätige Medien aus ganz England lehren hier den Kontakt zur „spirituellen Welt“. Menschen aus allen Teilen der Erde, Australien, Asien, USA, Europa, Afrika, finden sich im College zusammen. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich war überwältigt. Zehn Jahre später besuchte ich in diesem spirituellen Wunderland einen Kurs bei Alan Stuttle, der den Kontakt zur „spirituellen Welt“ über den künstlerischen Ausdruck herstellt. Und vor kurzem absolvierte ich nun einen online Kurs des Arthur Findlay Colloge „Portraits from Heaven“ bei Lynn Cottrell, die ebenfalls mit der Kunst arbeitet. Mich beeindruckt immer wieder, wie einfach und spielerisch eine Verbindung zum Bewusstseinsfeld über den künstlerischen Ausdruck funktioniert. Die Kunst ist die Sprache des Universums. Das Universum schafft künstlerisch.
Soul to soul painting
Lynn Cottrell erklärte uns über den Kontakt mittels Kunst zum Bewusstseinsfeld etwas sehr wertvolles. Aus ihrer Sicht gibt es zwei Formen des Zugangs. Wir können den Kontakt intuitiv von Herz zu Herz etwa über den künstlerischen Ausdruck herstellen. Lynn nennt es Soul-to-soul painting. Wir fühlen uns in den anderen ein, bekommen dadurch Zugang zu der Welt und den Themen des anderen. Im Kunstwerk drücken sich die oft noch unbewussten Anliegen in Symbolen und Bildern aus. Ich erkannte in dieser Beschreibung meine Arbeit in der Kunsttherapie. Ich nenne es „Kunst als Sprache der Intuition“. Die Kunst dient uns als Übersetzungshilfe für Informationen aus dem Feld.
Spirit world
Lynn berichtete sodann über den zweiten Zugangskanal zu Feldinformationen. Als Medium nehme sie direkt mit der „spirituellen Welt“ Kontakt auf und ließe sich von den „Guides“ in der geistigen Welt führen. Sie sagen und zeigen ihr, was gesehen werden will.
Ich habe mich auf diese Idee eingelassen, auch wenn ich einen solchen Kontakt nicht glaubte herstellen zu können. Ich experimentiere gern und lasse mich überraschen, was sich mir zeigt, wenn ich alle Vorgaben und Einschränkungen beiseitelege.
Während einer Übung entstand das hier abgebildete Portrait einer alten Schamanin, die mir kürzlich schon einmal in einem anderen Kontext bei einer schamanischen Ahnenmediation begegnet ist. Ich war beeindruckt, berührt und verwundert. Für mich fühlt sie sich wie eine Seelenführerin an.
Ich traute mir im Laufe der Übungen nun immer mehr zu, auch für mein Gegenüber „Portraits from Heaven“ zu malen und die mir gebotenen Informationen preiszugeben. Eine wichtige Lernerfahrung war für mich, dass ich mutig genug sein musste, wirklich all das auszusprechen, was sich mir zeigte, auch wenn ich Sorge hatte, ob mein Gegenüber damit irgendetwas anfangen kann. Es war für mich magisch zu erleben, wie viel der von mir erlangten Informationen, von Nationalsozialismus über Autounfall bis Banalitäten wie Lakoste-Hemd, bei meinen Übungs-Klient*innen passte.
Ich möchte jedem, der sich für diese Weltsicht öffnen kann, den Zugang über die Kunst nahelegen. Wenn ich von Kunst spreche, dann geht es um den authentischen Ausdruck, jenseits irgendwelcher Bewertungen. Die Kunst ist eine Form des wilden assoziativen Denkens. Sie dient als Übersetzungshilfe für Informationen aus dem Bewusstseinsfeld.
Ulrike Hinrichs ist intermediale Kunsttherapeutin (Master of Expressive Arts), Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin, kreativer Coach, NLP Master, Ausbilderin für Kreative Therapien und Autorin. Sie versteht und nutzt den künstlerischen Ausdruck als eine integrative und allverständliche Sprache der Intuition. In ihrer Heimat Hamburg initiiert sie künstlerisch-kulturelle Integrationsprojekte mit Bürger*innen aus dem Stadtteil, um die Kunst auch als kollektive Ausdrucksform für gesellschaftsrelevante Themen zu nutzen. http://www.lösungskunst.com
Ulrike Hinrichs ist Autorin des Fachbuchs
Ulrike Hinrichs
Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen.
Wir geraten aus der Balance, sind im Stress oder psychisch stark beeinträchtigt. Solche Störungen können im Körper einen Ausdruck finden, wenn sie im sprachlosen Raum gefangen sind. Wir können die Kunst nutzen, um unseren Körper besser zu verstehen. Der künstlerische Ausdruck macht nicht nur die Beeinträchtigungen und Schmerzen metaphorisch sichtbar, sondern kann vor allem auch die Ressourcen in schweren Themen aufzeigen. Die Kunst hilft uns bei der Befreiung aus dem Gefängnis. Die Kunst als authentischer Ausdruck bringt Inneres nach außen und manifestiert es in einem Werk. Die intuitive Seite in uns denkt in bildhaft metaphorischen Assoziationsnetzen, die wir durch künstlerische Prozesse wecken. Assoziationen und innere Bilder sind eher wie Träume, die man erst einmal verstehen muss. Der künstlerische Ausdruck dient der Intuition dabei als eine Sehhilfe. Wir können uns fragen: welche Assoziation kommen mir in den Sinn? Welche kollektive Deutung enthält für mich eine wichtige Information? Und welche Rückmeldung von anderen berührt mich, so dass ich zu der Erkenntnis gelange, all das betrifft tatsächlich auch mein Thema, mein Anliegen. Das sind Fragen, die die analytische und reflektierende Seite in uns zur Überprüfung stellen kann. Ich möchte das anhand eines Beispielsfall illustrieren.
Die 59-jährige Klientin berichtete von Blutdruckschwankungen. Manchmal schlage der Blutdruck plötzlich und ohne ersichtlichen Grund vor allem nach oben aus. Sie fühle sich erschöpft und müde. Oft habe sie vor allem am Morgen Kopfschmerzen. Das beunruhige sie sehr. Eine organische Ursache sei nicht gefunden worden.
Auf die Frage welches Tier ihr in den Sinn käme, das für ihre Symptome stehen könnte, sagte sie spontan: Der Grashüpfer.
Das Herz macht Luftsprünge
„Der Grashüpfer kann urplötzlich und für seine Größe extrem hoch springen. Von der absoluten Ruhe in der satten Wiese kann er unmittelbar umschalten und hochspringen. Gleichzeitig kann er stundenlang zirpen. Ich mag das Geräusch, es hat etwas Meditatives“, so die Klientin. „Auf dem Bild wirkt der Grashüpfer sehr verliebt, so als ob er mit gesenktem Kopf und „Hundeblick“ jemanden anhimmelt. Oder er flirtet mit dem Leben, genießt den Moment, das Grün um ihn herum?“
In einem ersten Schritt können wir über die Bildbetrachtung auf Überraschendes und Neues schauen. Was kommt uns in den Sinn, wenn wir auf das Bild blicken? Über dieses freie Assoziieren schalten wir auf das „wilde Denken“, wie es die Ethnologin Kessler nennt. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann spricht vom „schnellen Denken“.
Für die symbolische Deutung können wir uns die Lebensweise des Tieres anschauen und auch in mythologische oder schamanische Betrachtungen von Tieren eintauchen. Diese Informationen können wertvolle Anhaltspunkte liefern und neue Perspektiven schaffen.
Der Grashüpfer gibt zur Anlockung von Partnertieren sowie zur Abgrenzung seines Territoriums zirpende Laute von sich. Die Klientin hatte auch den meditativen Ton erwähnt, den sie sehr möge. Beziehung, Grenzen setzen, hatte auch für die Klientin eine wesentliche Bedeutung.
In der Symbolik erinnert uns das beruhigende Zirpen des Grashüpfers daran, einen harmonischen Grundton im Leben anzuschlagen. Ist unsere Lebensmelodie gereizt, angespannt, harmonisch? Der Grashüpfer ruft dazu auf, nervenzerrendes Verhalten zu unterlassen, stattdessen Ruhe und Erholung ins Leben zu holen. Als Krafttier symbolisiert er auch Leichtigkeit, Erneuerung, Selbstentfaltung, Mut und Kreativität. Seine plötzlichen Höhensprünge weisen auf große Umbrüche hin. Das Leben muss in einem radikalen Ausmaß verändert werden, um in die volle Lebenskraft zu kommen, so die Grashüpfer-Botschaft. Das erfordert einen großen Schritt ins Unbekannte. Auch in Bezug auf diese kollektive Deutung fühlte sich die Klientin angesprochen.
Durch ihr Kunstwerk sei sie mehr auch an ihre Kraftquellen gekommen, das Leben genießen, „im Gras herumspringen“. Das Herz mache Luftsprünge.
Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
Durch Dissoziation der unerträglichen Welt entfliehen
Medusa ist eine der drei Gorgonen – Gespenster mit Schlangenhaaren – aus der griechischen Mythologie. Nach der Sage heißt es, dass jeder der in ihre Augen blickt augenblicklich in Stein verwandelt wird. Das mit seinen weißen Augenhöhlen maskenhaft wirkende Gesicht der Medusa zieht mich in seinen Bann. Ein Schlangenkörper mit gespaltener Zunge auf der Stirn des Ungeheuers, lenkt die Aufmerksamkeit auf die nicht vorhandenen Augen. Die Zungenspitzen des Reptils zeichnen auf den leeren Augenhöhlen die Pupillen nach. Der Blick des Ungeheuers wirkt daher fokussiert, fast laserhaft, als könne er einen mit einem feinen Lichtstrahl durchbohren, töten. Noch heute, Jahrzehnte später, beeindruckt und erschreckt mich das Bild, das ich 1981 zeichnete. Gleichzeitig bin ich fasziniert von der intuitiven Sprache des künstlerischen Ausdrucks.
MEDUSA: Ulrike Hinrichs 1981 (16 Jahre). Das Bild entstand nach meiner Erkrankung Guillain-Barré Syndrom
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Im Jahre 1979, mit 14 Jahren, erkrankte ich an einer „aufsteigenden Polyneuropathie mit Hirnnervenbeteiligung“ (Akute Polyneuroradikulitis (Guillain-Barré-Syndrom), eine schwere Autoimmunerkrankung. Folgen dieser Erkrankung sind entzündete Nervenwurzeln im Rückenmark, durch die die Nervenfasern beschädigt werden. Dies führt zu Lähmungen der Muskulatur. Es begann wie aus dem Nichts völlig plötzlich und unerwartet mit einem Kribbeln in den Füßen. Nachdem ich zusammengebrochen war, weil meine Beine mich nicht mehr tragen konnten, breiteten sich die Lähmungen über die Beine, den Rumpf und die Arme bis zum Kopf innerhalb nur weniger Tage aus.
Die Krankheit verwandelte mich in einen lebenden Stein
Ich war körperlich komplett gelähmt. Ich konnte nicht mehr sprechen, nur noch lallen. Aufgrund von Augenmuskellähmungen habe ich alles um mich herum in Doppelbilder gesehen. Ich konnte nicht mehr selbständig Nahrung zu mir nehmen geschweige denn ausscheiden. Lähmungen der Atem- und Schluckmuskulatur sind lebensbedrohlich. Ich stand kurz vor einer künstlichen Beatmung und war in einem Zustand der kommunikativen Ausgeschlossenheit. Ich konnte mich meiner Umwelt nicht mehr mitteilen und war mit meinen Gedanken und der Lebensbedrohung völlig auf mich gestellt. Ich war emotional komplett isoliert. Durch die vollständige Taubheit konnte ich auch Berührungen nicht mehr wahrnehmen. Zudem drohten die inneren Organe zu versagen. Ich konnte nur durch intensivmedizinische Behandlung am Leben erhalten werden. Heute weiß ich, dass ich dem Tod schon in die Augen geschaut hatte. Ich verbrachte knapp fünf Monate im Krankenhaus. Die anschließende Rekonvaleszenzphase war sehr langwierig und von heftigen Schmerzen begleitet. Durch die zerstörte Muskulatur musste ich wieder „gehen lernen“, saß lange im Rollstuhl. Es war zunächst völlig unklar, ob ich überhaupt wieder vollständig genesen würde.
Diese physischen und psychischen Beeinträchtigungen führen zu einem Deprivationszustand mit extremem Leidensdruck, der ausgeprägte Unsicherheit und große Angst erzeugen könne. Im Rahmen dieser emotionalen Extremsituation könne es zu Halluzinationen, sowie paranoiden und oneiroiden (traumähnlichen) Psychosen kommen, so der Mediziner Prof. Dr. Weiß.[1]
Eine psychologische Betreuung gab es damals nicht, stattdessen hatte man mich mit hoch dosiertem Valium versorgt. Allerdings waren die Krankenhäuser seinerzeit noch in staatlicher Hand, so dass jenseits des heute vorherrschenden wirtschaftlichen Drucks ausreichend Personal vorhanden war, das sich intensiv um mich kümmerte. In der Hochphase der Erkrankung saß 24 Stunden eine Betreuung neben meinem Bett. Die Fürsorge im Krankenhaus, die in meinem Elternhaus gefehlt hatte, habe ich damals sehr genossen, nachdem die lebensbedrohliche Phase überwunden war. Ich wollte das Krankenhaus gar nicht wieder verlassen. Über die Kunst, der ich schon in jungen Jahren sehr zugeneigt war, habe ich nach meiner Genesung intuitiv versucht, das erlebte Grauen zu verarbeiten. Hier ist ein Selbstportrait aus dieser Zeit, das für sich spricht.
Die Zusammenhänge zwischen Neuropsychologie, Nervensystem und Immunsystem bei entsprechenden Krankheitsbildern sind in den letzten Jahrzehnten Gegenstand der Forschung geworden. Dennoch gibt es wenige Untersuchungen zu diesem relativ seltenen Krankheitsbild. Das Nervensystem ist ein hoch komplexes System, das unseren gesamten Körper umfasst. Es reagiert sensibel auf die Interaktion mit unserem sozialen Umfeld.[1] Das Nervensystem lässt sich auf verschiedene Weise unterteilen: zum einen nach seiner Verortung im Körper in das zentrale Nervensystem (Gehirn, Rückenmark, (ZNS)) und das periphere Nervensystem ((PNS) Hirn- und Spiralnerven), zum anderen nach seiner Funktion in das somatische Nervensystem (bewusster, willentlicher Zugriff) und das autonome (vegetative) Nervensystem (unbewusst agierend).
Das autonome Nervensystem (ANS) kontrolliert die lebenswichtigen Grundfunktionen im Inneren des Körpers. Es reguliert alle autark ablaufenden Funktionen wie Herzschlag, Verdauung und Atmung. Sämtliche Informationen werden vom Gehirn über das Rückenmark zu den Organen und vice versa weitergegeben. Das ANS besteht aus dem sympathischen (SNS) und parasympathischen Nervensystem (PNS).
Das periphere Nervensystem (PNS) regelt den Zugang zur Peripherie unseres Körpers und damit den Kontakt zur Außenwelt. Aus dem Schädel und dem Rückenmark treten Hirnnerven und Spinalnerven aus, die wie ein Netz durch den gesamten Körper zu den Sinnesorganen, Extremitäten und auch unter der Haut verlaufen. Das periphere Nervensystem besteht aus einem somatischen Teil, der die „Schaltzentrale“ Gehirn mit sensorischen Informationen versorgt, und einem autonomen Teil (ANS).
Das gesamte Nervensystem überprüft permanent die Gefahren der Umgebung, schätzt diese ohne unser bewusstes Zutun als sicher, gefährlich oder lebensbedrohlich ein und verhält sich dazu mit entsprechenden neurobiologischen Reaktionen. Der Vagus, der größte Nerv des autonomen und der wichtigste des peripheren Nervensystems, übermittelt Informationen über den Zustand der peripheren Organe. Nach der polyvagalen Theorie von Porges findet dabei nicht nur eine wechselwirkende Kommunikation zwischen Gehirn und Körper statt, sondern auch zwischen den Nervensystemen verschiedener Menschen im sozialen Umfeld.[2]Porges unterscheidet drei hierarchisch organisierte Subsysteme des autonomen Nervensystems. Der parasympathische Teil des Vagusnervs regelt das System des sozialen Engagements. Er bietet ein schnelles Eingehen auf unsere Umgebung und Beziehungen. In sicheren Kontexten hilft dieser Teil des Nervensystems uns, dass wir uns auf die Umgebung einlassen und Bindungen und soziale Beziehungen eingehen. Bei hoher Stressbelastung schaltet das ANS je nach Situation und Individuum auf die archaischen Grundmechanismen: Flucht oder Angriff (Sympathikus); der parasympathische Zweig des Vagus, unser ältestes System, reagiert auf Lebensgefahr und führt zur Erstarrung (Immobilisierung, „Totstellen“). Porges konstatiert, dass durch „Neurozeption“ (adaptiver Mechanismus der Anpassung auf die Umgebung) die Defensivsysteme (Flucht, Angriff, Erstarrung) in sicher erlebter Umgebung abgeschaltet oder in (lebens-)bedrohlichen Situationen eingeschaltet werden.[3] Gerade in der frühkindlichen Entwicklung ist dieser Mechanismus von großer Bedeutung. Ein Kind ist zunächst als Neugeborenes in völliger dann mit zunehmendem Alter in langsam abnehmender Abhängigkeit zu seinen engen Bezugspersonen. Findet ein Kind keine Zeichen von Sicherheit (z.B. wegen Vernachlässigung oder Gewalt) kann bei ihm ein Gefühl permanenter Gefahr mit entsprechender Aktivierung der Defensivsysteme entstehen.
Vor der Erkrankung war ich tatsächlich über einen sehr langen Zeitraum in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen, die von fehlender Fürsorge und Versorgung sowie emotionaler Vernachlässigung geprägt war. Die einzige Überlebensstrategie meines weisen Körpers bestand darin, das gesamte System herunterzufahren. Das periphere Nervensystem mit seinen „Fühlern“ zur Außenwelt, um es metaphorisch auszudrücken, hat sich als Reaktion auf die bedrohliche Situation langsam und von den Extremitäten beginnen, über den Rumpf, die Sinnesorgane und nach innen zu den Organen verlaufend abgeschaltet und auf seinen wesentlichen inneren Kern zurückgezogen. Mein einziger Kontakt zur Außenwelt funktionierte über die Ohren und die Augen, die in Doppelbildern ein Zerrbild abgaben.
Wenn ich heute auf meine Kunstwerke schaue, dann ziehen mich bei beiden Köpfen die Augen magisch an, hinter denen sich jenseits der maskenhaft wirkenden Gesichter eine sehr viel tiefere Ebene zu verbergen scheint. Das ist für mich auch deshalb beeindruckend, da ich (anders als heute) seinerzeit weder zur Mythologie noch zu spirituellen Themen einen Zugang hatte. Die Symbolik der Bilder spricht für sich, zum einen Medusa, die jeden in Stein verwandelt, der ihr in die Augen schaut. Gleichzeitig steht Medusa in der Mythologie, was weniger bekannt ist, auch für eine helle schützende Seite. Sie ist die Göttin der Masken, des wilden Blickes und des „weisen Blutes“. Als Schlangengöttin verkörpert Medusa weibliches intuitives Wissen. Die Schlangen, die ihrem Kopf entspringen, symbolisieren Weisheit und Erkenntnis. Auch als Mondgöttin wurde Medusa verehrt.[4] Medusa ist ein archetypisches Bild von Wut, Verrat und Scham, beschreibt es auch Ursula Wirtz in ihrem Buch: Stirb und werde, die Wandlungskraft traumatischer Erfahrungen. Das Symbol der Versteinerung, das Medusa repräsentiert, steht im Traumakontext für emotionale Betäubung. Der Mythos von Medusa wird auch als Aspekt der Dissoziation gesehen, das Abtrennen des Kopfes vom Körper. Und genau das ist auch in der Symbolik der Krankheit geschehen.
Ebenso hat das Selbstportrait eine tiefe Deutungsebene. Es symbolisiert für mich persönlich zum einen das „Auftauen“ aus dem versteinerten Zustand. Gleichzeitig zeigt es in seinem künstlerischen Ausdruck und Aufbau archaische, archetypische Elemente, wie etwa die Fibonacci-Spirale, die sich in der Natur in unzähligen Ausformungen spiegelt (vom Universum über das menschliche Innenohr bis zum Schneckenhaus). Auch das „Ying und Yang“ Zeichen der chinesischen Philosophie verbirgt sich im Werk. Das Symbol steht für einander polar entgegengesetzte aber aufeinander bezogene Kräfte. Yang beschreibt das aktive, Impulse gebende, männliche Prinzip. Yin verkörpert die passive, nach innen gerichtete weibliche Energie. Die männlichen und weiblichen Urkräfte können auch als symbolische Platzhalter für das sympathische und parasympathische Nervensystem stehen. Das sympathische Nervensystem spiegelt das aktive männliche Prinzip, während der Parasympathikus das passive weibliche Prinzip wiedergibt.
Der krankheitsbedingte Zustand erinnert an den eines Samadhi (Buddhismus, Hinduismus). „Samadhi – das ist, wenn mein Körper unbeweglich ist, wie Stein, wie etwas Totes, doch ich lebe. Ein versteinert-unbeweglicher Körper, der trotzdem lebt“, so der Gelehrte Svamin Daram Radje Bharti. Gleichzeitig lebe der Geist außerkörperlich weiter. [5]
Ich bewundere zudem den uns allen immanenten „inneren Heiler“, jener Instanz, die auch in sehr schwierigen Situationen unsere Selbstheilungskräfte mobilisieren kann, wenn wir ihr genug Aufmerksamkeit schenken.
„Der innere Heiler, oder oft benannt als Medicus internus (der innere Arzt) scheint, physikalisch gesehen, so etwas zu sein wie ein eingebauter Resonanzdetektor, der sensibel auf die Wahrnehmung von körperlichen, emotionalen und seelischen Unstimmigkeiten ausgerichtet ist. Seine Fähigkeit innere Differenzen und Dissonanzen zu balancieren und in harmonisierende und korrigierende Impulse zu verwandeln nutzt eine geniale Hyperintelligenz. Der physiologische Hintergrund dieser Fähigkeit speist sich aus all den Anteilen in unserem Nervensystem, die mit dem evolutionären und archaischen Urwissen unserer Körperinformation verbunden sind. Die Kunst ist es genau das wahrnehmbar und zugänglich zu machen. Der Zugang gelingt über das Training der Intuition und die Übersetzung der inneren Wahrnehmungen in Bilder von Gestalten, die sehr oft mythischen Charakter haben, also eine Verbindung zum kollektiven Unbewussten herstellen“, so der Mediziner Hein, der auch das Vorwort zu meinem Buch „Kunst als Sprache der Intuition“ geschrieben hat.[6]
Durch den künstlerischen Ausdruck und der darin enthaltenen intuitiven (universellen) Symbolsprache nehmen wir Kontakt zu unserem inneren Heiler auf. Die Sprache der Kunst ist vielschichtig und komplex. Sie zeigt der fühlenden intuitiven Seite in uns einen Weg auf, den wir vertrauensvoll gehen können. Mir hat der künstlerische Ausdruck bei der Verarbeitung geholfen und heute nutze ich ihn in meiner Arbeit mit Menschen in Krisensituationen.
Ulrike Hinrichs
Medusa 1981, 2019, 2021, 2022, 2023
„Der beängstigende Teil des Mythos von Medusa ist, dass sie ein Opfer ohne Unterstützungssystem ist. Zuerst wurde sie von einer Frau, die die Macht hatte, ihr zu helfen, missbraucht und dafür bestraft. Dann wird sie in ein Monster verwandelt und ihrer Identität beraubt. Wir hören heute nicht mehr auf die Opfer, geschweige denn vor Hunderten von Jahren. Stattdessen verwandeln die Leute sie in jemanden, der sie nicht sind. Es ist ein sehr beunruhigender Trend, dem Opfer statt dem Täter die Schuld zu geben.“ aus The Whit Online
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