Das narzisstische Familiensystem

Wie die Kunst helfen kann: Kunst als Reiseführer der Seele

Beim narzisstischen Familiensystem gibt es wie auf einem Schlachtfeld Schwerverletzte unter allen Beteiligten. Insbesondere der mütterliche narzisstische Missbrauch findet in einem Familiensystem statt, das gesellschaftlich tabuisiert und daher oft unentdeckt bleibt. Das Bild der nährenden und liebenden Mutter steht im Vordergrund unserer gesellschaftliche  Wunschperspektive.

Narzissmus als psychische Erkrankung ist eine Spektrumsstörung, die graduellen Ausprägungen sind unterschiedlich. Es zeigen sich Unterschiede zwischen einzelnen betroffenen Menschen und es gibt auch individuelle situationsabhängige Schwankungen. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung benutzen andere zur Selbstspiegelung, Bestätigung und um sich zu spüren. Im Fokus steht eine Selbstbewertungsstörung.

Menschen mit einer narzisstischen Störung wurden in ihrer kindlichen Psyche schwer verwundet. Narzisstische Muster entstehen, wenn primäre Bezugspersonen wie die Eltern dem Kind zu wenig emotionale Einstimmungen spiegeln. Fehlt das akzeptierende Feedback der Bezugsperson auf Gefühle des Kindes oder werden bestimmte Gefühle des Kindes durchgehend abgelehnt, so spaltet das Kind die abgelehnten Gefühle vom eigenen Selbst ab, um sich der Zuneigung und Liebe der Bezugsperson sicher zu sein. Um ihr verletztes Selbst zu regulieren^, haben Betroffene Überlebensstrategien entwickelt. Kennzeichnend für die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist eine ausgeprägte Selbst­überhöhung bei gleichzeitiger Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Gerade Schattenthemen werden im Außen (bei anderen Menschen) vehement bekämpft, damit der eigene Schatten sich nicht aus dem Kellerverlies befreien kann. Das Selbstwertgefühl kann nicht ausreichend reguliert werden.

Das zentrale Motiv in Beziehungen ist Anerkennung

Gefühllose und die Selbständigkeit des Kindes unterdrückende Erziehungsmuster sind symptomatisch für narzisstische Verhaltensweisen. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung wirkt toxisch und zerstörerisch auf ihr Umfeld. Das zentrale Motiv in Beziehungen, und zwar auch zu den eigenen Kindern, ist von Anerkennung dominiert. Sie bestimmt das gesamte Handeln der betroffenen Person.[1] Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sehen sich und andere daher nicht so, wie sie sind, sondern so, wie sie sie haben möchten.[2] Es kommt zu Idealisierung oder Abwertung anderer Menschen, auch gegenüber den eigenen Kindern.

Das Spielfeld von Narzissten

Narzissten haben eine Art inneres Spielfeld, das aussehen könnte wie ein Schachbrett, auf dem die Mitmenschen in ihrer Umgebung wie Figuren gestellt werden. Es ist das Feld der Bewertung, wie es der Psychiater Hagemeyer nennt.[3] Ich finde diese Metapher eines Spielfeldes sehr passend, weil man sich so die Aktion und Reaktion eines Narzissten gut vorstellen kann. Es folgt eine permanente Bewertung und Einordnung der Figuren auf dem Feld. Sind sie nützlich, sind sie wohl möglich besser als ich, wie sehen sie aus, was wollen sie von mir, wofür kann ich sie benutzen? Die Bewertungskriterien können sich auch ändern. Mal wird eine andere „Figur auf dem Spielfeld“ überhört. Wenn sie den narzisstischen Anforderungen nicht gerecht werden sollte, wird die Person wieder verschoben und abgewertet.

Kontrolle und Manipulation

Zur Aufrechterhaltung dieses Systems kontrollieren und manipulieren Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ihr gesamtes Umfeld. Auch unter den Geschwistern wird ein so genanntes Goldkind ausgewählt und ein Kind, das den Sündenbock darstellt. Das eine Kind wird überhört, das andere abgewertet, beide gegeneinander ausgespielt. In der unmittelbaren Umgebung des Narzissten werden Bewunderer und Follower gesucht, die die vermeintliche Grandiosität teilen. Andere Menschen, die eine solche Bewunderung nicht zeigen, werden als Gegner angesehen. Kompromisse oder eine gesunde Austragung von Konflikten, widerstreitenden Interessen, gibt es nicht.

Es braucht wenig Fantasie sich vorzustellen, wie destruktiv und zerstörerisch solche Muster auf Kinder wirken. Töchter narzisstischer Mütter haben zudem noch mit einer weiblichen Konkurrenz zu tun. Die aufkeimende Weiblichkeit der Tochter muss von der Mutter abgewertet werden, um die eigene Schönheit und Weiblichkeit aufrecht zu erhalten. Von Sätzen wie „du bist zu fett“, „du kriegst sowieso niemanden ab“ oder auch „du bist hässlich“ berichten Klientinnen in allen Facetten. Auch der Partner der Tochter wird entweder abgewertet oder die Mutter selbst umwirbt ihn. „Meine Mutter behauptete immer, dass angeblich alle meine Exfreunde was von ihr wollten“, schilderte eine Klientin. Solche Erfahrungen sind sehr typisch.

Traumatisierendes Familiensystem

Kinder in solchen Familiensystemen wachsen in einer Trauma-Atmosphäre auf.

Einige typische Folgen für Betroffen sind:

  • Fehlender Selbstwert, fehlendes Vertrauen in Menschen, fehlendes Urvertrauen
  • Ohnmachtserfahrungen bis hin zu Todesangst (Die Angst vor dem Verlassen werden wirkt für Kinder lebensbedrohlich)
  • Ein großes Bedürfnis nach Bindung bei gleichzeitiger unüberwindbarer Angst vor Bindung (Nähe-Distanz Probleme)
  • Schwierigkeiten Grenzen zu setzen (Angst vor Liebesentzug, Verlassen werden)
  • Permanente Überachtsamkeit, dass etwas Schlimmes passieren könnte (Ohnmachtsgefühle aus der Kindheit, kein Vertrauen)
  • sich von toxischen Menschen angezogen fühlen (Wiederholungsmuster des narzisstischen Missbrauchs)
  • Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten (Angst vor Ablehnung)
  • Taubheitsgefühle (emotionale und körperlich Taubheit), Rationalisierung
  • Suchtverhalten (die innere Leere auffüllen)
  • Toxische Scham und Schuldgefühle
  • Überbetonung von Leistung, Erfolg
  • Angst vor Menschen, soziale Phobien
  • Angststörungen, Borderline Störung, eigene narzisstische Persönlichkeitstörung

In unserem neuen Buch (erscheint 2022) „Die Weisheit der weiblichen Wunde“ bekommen u.a. auch vom toxischen Narzissmus betroffene Frauen eine Stimme. Nur jede einzelne selbst kann sich bewusst aus dem Spinnennetz des Narzissmus befreien. Dazu bedarf es im allersten Schritt einer Bewusstheit für das Thema. 

Kreativität ist ein Schlüssel zur Befreiung aus dem narzisstischen Erbe

Siehe dazu auch meine Beiträge:

Wie die Kunst helfen kann: Kunst als Reiseführer der Seele

Unser neues Buch behandelt auch das Thema Narzissmus ausführlich

Literatur


[1] Sachse, Rainer (2020). Persönlichkeitsstörungen verstehen. Zum Umgang mit schwierigen Klienten. Köln: Psychiatrie Verlag.

[2] Johnson, Stephen M. (2011). Der narzisstische Persönlichkeitsstil.

[3] Hagemeyer, Pablo (2020. S. 227). „Gestatten ich bin ein Arschloch“. Ein netter Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten.