
Anastasia Umrik im Hamburger Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“, Jan 2022
Jeder von uns nutzt unbewusst Abwehrmechanismen, die den Umgang mit unerwünschten oder auch unerträglichen Empfindungen regulieren sollen. Sie helfen uns, unser Bild von uns stabil zu halten. Unerwünschte Gefühle wie Scham, Schuldgefühle, Angst oder Wut werden zu unterdrücken versucht. Der innere Konflikt kann damit aber nicht gelöst werden. Durch die Abwehr der Gefühle werden sie verstärkt, sie brodeln unter der Oberfläche weiter.
Idealisierung und Abwertung
Ein ausgeprägter Abwehrmechanismus von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist die Idealisierung und Abwertung anderer. Mit dem Abwehrmechanismus der Idealisierung überbetonen Menschen die positiven Seiten und blenden die negativen Aspekte aus. Bei der Abwertung erfolgt das Gegenteil, es werden nur die vermeintlich schlechten Seiten hervorgehoben.
Da Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ihr Selbstwertgefühl nicht ausreichend regeln können, haben sie Überlebensstrategien entwickelt, um ihr verletztes Selbst zu regulieren. Dazu wird die äußere Welt permanent bewertet, damit das selbst erschaffene Konstrukt von von sich selbst nicht zusammenbricht. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitstörung leben in den extremen Polen zwischen Idealisierung und Abwertung. Sie haben dafür eine Art inneres Spielfeld der Bewertung, wie es der Psychiater Hagemeyer nennt. Im Bewertungsmuster werden die jeweiligen Personen zueinander in Position gebracht, nötigenfalls abgebwertet. Zur Aufrechterhaltung dieses Systems manipulieren Narzissten ihr gesamtes Umfeld. Es folgt eine (unbewusste) Bewertung und Einordnung der Figuren auf diesem Feld. Auch Geschwister und Angehörige werden gegeneinander ausgespielt. Sind sie nützlich, können sie mir gefährlich werden, wie sehen sie aus, was wollen sie von mir, wofür kann ich sie benutzen?
Oft haben Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ein beeindruckendes Charisma. Sie haben in ihrem Umfeld Menschen, die ihnen folgen, sie bewundern. Es besteht allerdings der unausgesprochene Anspruch, dass die Wünsche und Erwartungen der narzisstischen Persönlichkeit erfüllt werden. Funktioniert das, so werden diese Personen idealisiert.
Narzisstsiche Wut
Jede vermeintliche Bedrohung der narzisstischen Überlegenheit führt zu Wut und Aggression. Innere Probleme, Schattenanteile und Konflikte werden auf das Außen projiziert. Sollte das Gegenüber Kritik üben, wird die Person aussortiert. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn der Kontakt wird oft abgebrochen. Im Familiensystem kann das bedeuten, dass das Kind mit Liebesentzug bestraft und vollständig ignoriert wird.
Für die narzisstische Persönlichkeit werden innere Spannungen abgemildert, indem Störer und Kritiker ab- oder gar entwertet werden. Daher sind kritische Diskussionen mit Narzissten auch nicht möglich. Fühlen sich narzisstische Menschen gekränkt, dann drohen sie mit Vernichtung und Rache. Es wird geschrieen und verunglimpft. Der/die Partner/in wird zum Feind. Dies geschieht auch im narzisstischen Familiensystem, wenn Kinder eigen Ansprüche haben, reifen und ihre eigene Wege gehen wollen.
Klientin: „Meine Mutter hat mich mit Ignoranz bestraft. Auch als ich noch ein sehr kleines Kind war. Ich bin dann weinend hinter ihr hergerannt. „ich bin jetzt wieder lieb Mama“, habe ich dann flehend gesagt, auch wenn ich gar nichts getan hatte.“
Die Seele erstarrt
Für Menschen, die in einem narzisstischen Familiensystem aufgewachsen sind, hat das schwere seelische Folgen. Die Seele erstarrt, hemmt das Leben, führt zur Angst vor Liebesentzug und Ausgrenzung. Gefühle der Leere und Taubheit sind ebenso typisch, wie fehlende innere Grenzen.
Siehe dazu auch meine Beiträge:
- Narzissmus und der verwurmte Apfel
- Das narzisstische Familiensystem
- Das Narzissenhaus
- Abwesender Vater im narzisstischen Familiensystem
- Narzisstische Abwehrmechanismen
- Narzisstische Mütter
- Narzisstische Grenzverletzung
- Weiblicher Narzissmus
- Weiblicher Narzissmus – Die Sehnsucht nach Symbiose
- Auch du bist eine Narzisstin
- Wenn Sehnsucht wehtut
- Boykott der Selbstfürsorge
© Ulrike Hinrichs 2022
Literaturtipp
Hagemeyer, Pablo (2020). „Gestatten ich bin ein Arschloch“. Ein netter Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten. Hamburg: Eden books.

Ulrike Hinrichs – Kunst als Sprache der Intuition – Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen Synergia-Verlag, ISBN 9783906873824
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