
Warum hilft uns die Kunst als Ausdrucksform, um die Sprache unserer Seele zu verstehen? Dazu möchte ich dir anhand des Modells von Elefant und Reiter etwas zum Hintergrund unserer zwei Denksysteme erzählen. Die Metapher von Elefant und Reiter geht auf den amerikanischen Psychologen John Haidt zurück.[1] Haidt beschreibt damit das Zusammenspiel von rationalem Denken und der automatischen Verarbeitung von Reizen. Diese unterschiedlichen Systeme kennen wir auch von Daniel Kahneman, Professor für Psychologie und Nobelpreisträger für Wirtschaft. Er unterscheidet das langsame, rationale Denken und das schnelle, assoziative Denken, welches der Intuition entspringt. Die Ethnologin Dr. Kessler bezeichnet es synonym als das nach innen gerichteten „wilde Denken“.[2]
Das rationale, langsame Denken läuft linear. Das bedeutet, dass solche Prozesse von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft laufen. Es steht im Zentrum unseres Bewusstseins. Die Verarbeitung ist begrenzt. Im Vergleich zu intuitiven Prozessen ist es langsam. Kontrollierte Prozesse erfordern, die Sprache der Buchstaben und Worte sprechen zu können. Während das planmäßige und lineare Denken über Faktenchecks, Analysieren und Zerlegen von Bestandteilen in ihre Einzelteile langsame Schlüsse zieht, agiert das wilde Denken für den aktiven Geist blitzschnell und oft unbewusst in endlosen vernetzten Assoziationsketten. „Wie Kräuselwellen auf der Oberfläche eines Teiches breitet sich die Aktivierung durch einen kleinen Teil des riesigen Netzwerks assoziativer Vorstellungen aus“, konstatiert Kahneman.[3]
Intuitive Prozesse laufen mühelos und automatisch. Ein großer Teil dieser Prozesse ist unbewusst. Das wilde Denken erfordert keine Anstrengung oder Lenkung. Gleichzeitig sind seine Botschaften nicht immer leicht zu verstehen. Sie sind eher Symbolisch und metaphorisch. Die Metapher des Elefant und Reiter beschreibt anschaulich die Dynamik zwischen diesen beiden Polen. Der Reiter steht für den rationalen Geist, der auf dem Rücken des Elefanten sitzt und diesen lenkt. Der Reiter spricht die Sprache der Worte. „Der Reiter (…) ist das bewusste, kontrollierte Denken. Der Elefant ist dagegen alles andere. Zum Elefanten gehören Bauchgefühl, instinktive Reaktionen, Emotionen und Ahnungen, die die automatische Verarbeitung großteils ausmachen. Elefant und Reiter haben jeweils ihre eigene Intelligenz, und wenn sie gut zusammenarbeiten, kann die einzigartige Genialität der Menschen zutage treten.“[4]
Das wilde Denken ist Elefantensprache. Der Elefant steht für die weibliche Urkraft. Er mag die Künste, Mythen, Märchen und Geschichten. Er reagiert auf Emotionen. Es ist die Symbolsprache der Seele, die der Elefant versteht. Die Kunst ist eine Ausdrucksform dafür. Sie kann mühelos in dunklen Ecken schauen, in die wir oft nicht blicken wollen oder können. Der künstlerische Ausdruck ist eine Lichtquelle, um der Dunkelheit in uns zu begegnen. Oft ist ihre Sprache rätselhaft und für den Verstand nicht immer auf Anhieb zu verstehen. Es ist als seist du auf der Fährte des Elefanten unterwegs, die dich durch das Dickicht des Waldes auf eine Lichtung führt.
(c) Ulrike Hinrichs – Die Texte sind urheberrechlich geschützt.
- Mehr dazu in meinem Buch: Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen.
Erscheint in Kürze:

Die Weisheit der weiblichen Wunde – Unterstützung aus der Kreativapotheke (mit Andrea Wandel)
Literatur
[1] Haid, Jonathan (2007). Die Glückshypothese. Was uns wirklich glücklich macht. Die Quintessenz aus altem Wissen und moderner Glücksforschung. Kirchzarten: VAK Verlag.
[2] https://christinakessler.com/wildes-denken-im-einklang-mit-der-welt/ (15.10.2022)
[3] Kahneman, Daniel (2011). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Penguin Verlag
[4] Haidt, (2007, S. 34)
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